Die Städtischen Bühnen sind „gesäubert“, das deutsche Theater ist geschaffen und die Besucher bleiben weg.
1933 verloren die Bühnen schlagartig etwa 50 Prozent der Abonnenten oder, wie sie jetzt in einwandfreiem Deutsch hießen: Platzmieter. Zwar wurde „Nichtariern“ erst zum 1. April 1938 der Erwerb eines Abonnements untersagt und das Formular für den Antrag um den fett gedruckten Satz „Ich bin kein Jude“ ergänzt. Die Beurlaubungen und Entlassungen der Intendanten, Regisseure, Schauspieler, Sänger, Musiker, Putz- und Garderobenfrauen ab März 1933 mit der einzigen Begründung „Jude“, die Verfemung jüdischer Autoren und der Antisemitismus, den das öffentliche Trara um das neue deutsche Theater auch unausgesprochen bekundete, sorgten dafür, dass das jüdische Publikum schlagartig ausblieb.
Zu Beginn der Spielzeit 1933/34 der Städtischen Bühnen erlebte die Innenstadt einen für das Dritte Reich einmaligen Demonstrationszug. Die zahlreichen mitgeführten großflächigen Plakate wiederholten stereotyp die Aufforderung „Das Theater des Neuen Reiches, erschaff es, Volksgenosse, auch Du!!“ und „Wir öffnen die Tore – Jedem!“, wobei das „Jeder“ natürlich nur die Volksgenossen meinte. Das im Aufbau befindliche deutsche Theater litt unter extremem Publikumsschwund und Einnahmedefiziten, die alle Krisen der Städtischen Bühnen vor 1933 weit in den Schatten stellten. Auch die Reduzierung der Tageseintrittspreise um 30 Prozent hatte nichts bewirkt.
Der Patronatsverein der Städtischen Bühnen, der vor 1933 zum Beispiel der Oper eine neue Drehbühne spendiert hatte, löste sich im Dezember 1933 auf. Eine Gleichschaltung war bei der großen Zahl jüdischer Mitglieder unmöglich. Der Oberbürgermeister betrieb erfolglos eine Neugründung auf rein arischer Grundlage. Die „Blätter der Städtischen Bühnen“ erhielten ein neues Layout und firmierten jetzt unter „Der 30. Januar Braune Blätter der Städtischen Bühnen“ mit einer Umschlagfarbe, die dem Braunhemd der SA nachempfunden war. In der zeitgenössischen deutschen Theaterlandschaft gab es für diese Anpassung kein zweites Beispiel. Den Inhalt bildeten bis 1936 durchweg der Nachdruck von Reden Adolf Hitlers, Joseph Goebbels oder Hermann Görings, Zitate zur völkischen Kunstauffassung und Berichte über NS-Organisationen wie SA oder HJ. Bis 1940 erschien zu jeder Spielzeit ein Werbeheft, in dem alle Frankfurter Parteigrößen einschließlich des Polizeipräsidenten und Gruppenführers der SA, der Gaufrauenschaftsleiterin und des Landesbauernführers ihre vorbildliche Treue zu den Städtischen Bühnen mitteilten.
Bei der Premiere von „Reims“ am 25. Februar 1934, einem Weltkriegsstück des Chefdramaturgen Friedrich Bethge, das den Tod auf dem Schlachtfeld als Opfertod für die Heimat verklärt, Regie Intendant Hans Meissner, saßen Gauleiter Jakob Sprenger, der Oberbürgermeister und überwiegend SA im Publikum. Der Gauleiter ließ in der Tagespresse einen Aufruf veröffentlichen: „Frankfurter Bühnen kämpfen heute in vorderster Front für ein nationales Volkstheater. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, bedürfen sie der tätigen Mithilfe und der Einsatzbereitschaft aller. Darum ergeht an alle Parteigenossen erneut der Ruf: Reiht euch ein in die Front für den Aufbau der deutschen Kultur!“, der zudem in den Parteilokalen der NSDAP aushing und bei Mitgliederappellen verlesen wurde. Der Oberbürgermeister erklärte seinen Beamten, Theaterbesuch sei Beamtenpflicht und ließ im Magistrat reihum fragen, wer von den Stadträten Platzmieter sei. Das „Frankfurter Volksblatt“ fragte 1936: „Ja, warum kommt ihr nicht?“
Vor allem im Bestreben, die Zahl der Platzmieter zu erhöhen, wurde der Theaterbesuch als „Bekenntnis zur deutschen Kultur“ propagiert. Zitate von Hitler, Goebbels und anderen NS-Größen ließen keinen Zweifel an den Aufgaben des deutschen Theaters. Goebbels erklärte, der eigentliche Künstler sei der Staatsmann, der die Volksgemeinschaft forme. Daraus ergebe sich von selbst die Aufgabe des Theaters. Der Generalintendant verstand: Kunst und Kultur hatten die Aufgabe, der Formung der Volksgemeinschaft durch den Führer mit ihren Mitteln zu dienen. Die „Darstellung einer höheren Wirklichkeit“, die Meissner als Aufgabe des Theaters definierte, meinte nicht ein autonomes Vermögen und den Eigensinn der Kunst, sondern die ästhetische Überhöhung und Rechtfertigung nationalsozialistischer Volkstumspolitik unter Einschluss all ihrer barbarischen Konsequenzen.
Die Städtischen Bühnen sind „gesäubert“, das deutsche Theater ist geschaffen und die Besucher bleiben weg.