Die Würde des Hochschullehrers

Der Antrag des Mittelalterhistorikers Ernst Hartwig Kantorowicz auf Beurlaubung vom 20. April 1933 belegt beispielhaft die Situation national gesinnter jüdischer Hochschullehrer.

"Obwohl ich als Kriegsfreiwilliger vom August 1914, als Frontsoldat während der Dauer des Krieges, als Nachkriegskämpfer gegen Polen, Spartakus und Räterepublik in Posen, Berlin und München eine Dienstentlassung wegen meiner jüdischen Abstammung nicht zu gewärtigen habe; obwohl ich auf Grund meiner Veröffentlichungen über den Staufer-Kaiser Friedrich den Zweiten für meine Gesinnung gegenüber einem wieder national gerichteten Deutschland keines Ausweises von vorgestern, gestern und heute bedarf; obwohl meine jenseits aller Zeitströmungen und Tagesereignisse begründete, grundsätzlich positive Einstellung gegenüber einem national regierten Reich auch durch die jüngsten Geschehnisse nicht hat ins Wanken kommen können, (...), so sehe ich mich als Jude dennoch gezwungen, aus dem Geschehenen die Folgerungen zu ziehen und im kommenden Sommersemester meine Lehrtätigkeit ruhen zu lassen. Denn solange jeder deutsche Jude – wie in der gegenwärtigen Zeit der Umwälzung – schon durch seine Herkunft fast für einen „Landesverräter“ gelten kann; solange jeder Jude als solcher rassemäßig für minderwertig erachtet wird; solange die Tatsache, überhaupt jüdisches Blut in den Adern zu haben, zugleich einen Gesinnungsdefekt involviert; solange jeder deutsche Jude sich einer täglichen Antastung seiner Ehre ausgesetzt sieht ohne die Möglichkeit, persönliche oder gerichtliche Genugtuung zu erzwingen; solange ihm als Studenten das akademische Bürgerrecht versagt, der Gebrauch der deutschen Sprache nur als „Fremdsprache“ gestattet wird, wie es die auch im Universitätsgebäude selbst angeschlagenen Aufrufe der Deutschen Studentenschaft fordern dürfen; solange durch Dienstbefehl auch den Juden als Leitern der Seminare zugemutet wird, sich aktiv an judenfeindlichen Aktionen zu beteiligen (Rundschreiben des Kuratoriums vom 19. April), und solange jeder Jude, gerade wenn er ein nationales Deutschland voll bejaht, unfehlbar in den Verdacht gerät, durch das Bekunden seiner Gesinnung nur aus Furcht zu handeln oder bloß seinen persönlichen Vorteil suchen, nach Pfründen jagen und seine wirtschaftliche Existenz sichern zu wollen; solange daher jeder deutsche und wahrhaft national gesinnte Jude, um einem derartigen Verdacht zu entgehen, seine nationale Gesinnung eher schamhaft verbergen muß, als daß er sie unbefangen kundtun dürfte: solange erscheint es mir als unvereinbar mit der Würde eines Hochschullehrers, sein nur auf innerer Wahrheit begründetes Amt verantwortlich zu versehen, und solange auch als eine Verletzung des Schamgefühls der Studenten, seine Lehrtätigkeit, als wäre nichts geschehen, stillschweigend wieder aufzunehmen."

Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Personalakten

Der Antrag des Mittelalterhistorikers Ernst Hartwig Kantorowicz auf Beurlaubung vom 20. April 1933 belegt beispielhaft die Situation national gesinnter jüdischer Hochschullehrer.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

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