Die jüdischen Gemeinden von 1933 bis zum Novemberpogrom 1938

Aufruf des Vorstands der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main im Gemeindeblatt an die Gemeindemitglieder, 30.03.1933

Im Strandbad Niederrad um 1937

Dr. Jacob Horovitz, Rabbiner der Israelitischen Gemeinde

Jüdisches Jugendheim, Eschersheimer Landstraße 65

Programmheft des Jüdischen Kulturbundes Rhein-Main, Winter 1935/36

Ab 1933 musste die Israelitische Gemeinde wegen der wachsenden NS-Repressionen immer größere finanzielle Mittel zur Kompensation sozialer Probleme aufwenden. Zugleich wurde sie vom NS-Regime auch immer stärker als verantwortliche Instanz für die Organisation des öffentlichen jüdischen Lebens in der Stadt haftbar gemacht.

 

Der existenziellen Bedrohung durch die NS-Machtübernahme war sich die Leitung der Israelitischen Gemeinde Frankfurts offenbar bereits im Frühjahr 1933 bewusst, wie aus dem Aufruf des Gemeindevorstands vom 30. März hervorgeht: Die staatsbürgerliche Gleichberechtigung und der Fortbestand der Gemeinde seien stark gefährdet, dagegen stehe die Verwurzelung in der deutschen Heimat und im eigenen Glauben, aber auch die besonderen Verdienste der jüdischen Bürger um die Entwicklung der Stadt Frankfurt und das enge Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden.

 

Verwurzelung und Verdienste reichten vom Ende her gesehen nicht aus, die vollständige Zerstörung der Gemeinde zu verhindern. Der Weg dorthin war zunächst schleichend, so dass bis zum Novemberpogrom von 1938 die Gemeinde als sozialer Zusammenhang in wesentlichen Bereichen noch funktionieren konnte – allerdings nur dank immer größerer Opfer ihrer Mitglieder. So gab es einerseits in diesen Jahren zumindest keine direkte Gestapoüberwachung der Sitzungen der Gemeindeverwaltung – die Unabhängigkeit der Selbstverwaltung wurde also nicht angetastet – andererseits musste die Gemeinde den Kultussteuersatz von ursprünglich 15 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer bis 1938 auf 27 Prozent erhöhen, um die mit der wachsenden NS-Repression steigenden Gemeindekosten tragen zu können.

 

Die erste antisemitische Aktion des neuen Regimes, mit der die Gemeinde zurechtkommen musste, war das 1933 sofort erlassene Verbot des rituellen Schächtens, das heißt der für die Produktion koscheren, rituell reinen Fleisches unerlässlichen Methode der Viehschlachtung durch vollständiges Ausbluten. Die jüdischen Gemeinden im Reich gründeten daraufhin eine „Zentrale für Schächtwesen“, die mit der Reichsregierung verhandelte und die Genehmigung zum Import koscheren Fleischs aus dem Ausland erreichen konnte. Das Vieh wurde in Dänemark unter Aufsicht eigens dorthin entsandter jüdischer Beauftragter geschlachtet und nach Überwindung zahlreicher bürokratischer, zoll- und devisenrechtlicher Hürden in Kühlwagen in die einzelnen Städte gefahren. Der Frankfurter Schlachthof war die zentrale Verteilstation für die jüdischen Metzger der Stadt und der näheren Umgebung. Als 1936 das NS-Regime keine Devisen mehr bewilligte, musste ein kompliziertes finanzielles Ausgleichsverfahren entwickelt werden, um den Import weiterhin zu sichern. Hinzu kam ein grauer Markt mit koscherem Fleisch aus Teilen Schlesiens, in denen aus außenpolitischen Gründen das Schächtverbot nicht umgesetzt wurde. Koscheres Geflügelfleisch musste aus Holland bezogen werden. Nach dem Novemberpogrom von 1938 wurde die Zentrale für Schächtwesen geschlossen, koscheres Fleisch konnte nun nur noch illegal produziert und erworben werden.

 

Eine weitere Belastung der Gemeinde entwickelte sich, als die Finanzämter die jüdische Kultussteuer nicht mehr (wie bei der christlichen Kirchensteuer) gemeinsam mit der Lohn- und Einkommenssteuer vereinnahmten, um sie dann den Gemeinden zukommen zu lassen. Die Gemeinde musste ihre Steuerabteilung erweitern, deren Mitarbeiter konnten zunächst im Finanzamt die Listen der Steuerpflichtigen einsehen, mussten aber, als auch dies nicht mehr gestattet wurde, die jüdischen Steuerpflichtigen selbst ermitteln und um die ehrliche Zahlung der fälligen Kultussteuer bitten. Der soziale Zusammenhalt der Gemeindemitglieder war stark genug, diesem Verfahren zum Erfolg zu verhelfen, sodass bis 1938 die Ausgaben der Gemeinde gedeckt werden konnten – dies gelang aber auch deswegen, weil die zur Bemessung dienende staatliche Einkommenssteuerschuld jüdischer Bürger von den Finanzämtern mittels rigoroser Kontrollen möglichst hoch angesetzt worden war.

 

Die größten Anstrengungen mussten im Wohlfahrtsbereich unternommen werden. In Kooperation mit dem Palästina-Amt und dem Preußischen Landesverband gründete die Gemeinde 1933 eine „Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe“, die den negativen Auswirkungen der NS-Politik auf die Ausbildungs- und Berufssituation von Juden begegnen sollte. Die Einrichtung der Anlernwerkstätte in der Fischerfeldstraße, einer Haushaltungsschule für Mädchen und verschiedener Wohnheime für die nach Frankfurt zur Ausbildung oder Umschulung kommenden Jugendlichen dienten der durch die NS-Ausschließungspolitik erzwungenen „Berufsumschichtung“ und Auswanderung.

 

Für die Jugendvereine der Gemeinde musste auf Gestapoanweisung in der Eschersheimer Landstraße ein zentrales Haus geschaffen werden, in dem deren Zusammenkünfte von der Gestapo leichter zu überwachen waren. Um Verbots- und Auflösungsverfügungen gegen die Vereine möglichst zu verhindern, kontrollierte die Gemeinde ihrerseits die Aktivitäten der Jugendlichen durch eine Jugendkommission und einen Jugendwart, der als Verantwortlicher gegenüber der Gestapo auftrat.

 

Eine ähnliche Situation entwickelte sich im Kulturbereich: Sämtliche kulturellen oder künstlerischen Veranstaltungen (ausgenommen solcher der religiösen Belehrung) mussten der Gestapo gemeldet und von ihr genehmigt werden. „Nachdem die Verhandlungen mit den einzelnen Veranstaltern der Gestapo nicht mehr paßten, verlangte sie die Vorprüfung und Anmeldung durch die Gemeinde. Die Gemeinde schuf zu diesem Zweck einen Prüfungsausschuß, dem auch Vertreter der Religionsgesellschaft angehörten. An diesen Ausschuß mußten alle Anträge von Kulturveranstaltungen jeglicher Art gerichtet werden. Die Aufgabe des Ausschusses war eine sehr schwierige, und es mußten viele Verhandlungen mit der Gestapo betreffend den Charakter der Veranstaltungen geführt werden, auch der Zeitpunkt mußte der Gestapo genehm sein, damit die zuständigen Beamten zur Überwachung erscheinen konnten.“ (zitiert aus dem Bericht von Willy Mainz, Dokumente, S. 244).

 

Als später die städtischen Säle für Juden gesperrt und der Logensaal beschlagnahmt wurde, mussten kleinere Veranstaltungen in Gemeinderäumen Platz finden, größere konnten dagegen nur in der Westendsynagoge stattfinden, soweit dies von den Rabbinern zugelassen wurde.

 

Auch die Sportmöglichkeiten wurden für Juden immer mehr eingeschränkt: die Sportplätze waren gesperrt, desgleichen Schwimmbäder. Die Gemeinde konnte aber mit dem Strandbad Niederrad am Niederräder Ufer des Mains ein privates Schwimmbad am Main pachten. Eine Turnhalle gab es für Juden nur im Philanthropin, als einziger Sportplatz blieb der des Sportvereins „Bar-Kochba“.

 

Auch in Bezug auf die medizinische Versorgung musste die Gemeinde handeln: Durch den immer stärkeren Ausschluss von Juden aus dem allgemeinen Gesundheitssystem geriet das rituell geführte Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde an der Gagernstraße in eine zentrale Rolle. Es musste umgebaut und erweitert, die durch Auswanderung eigenen Personals und Berufsverbote in anderen Kliniken entstehende Personalfluktuation bewältigt werden. Als 1938 den niedergelassenen jüdischen Ärzten das Praktizieren in den eigenen Wohnungen untersagt wurde, stellte die Gemeinde in ihren Gebäuden bzw. im Gagernkrankenhaus entsprechende Räume zur Verfügung.

 

Die ersten Angriffe des NS-Regimes auf die religiösen Vertreter der Gemeinde begannen 1937: dem in Ungarn geborenen Gemeinderabbiner und Mitglied im Präsidium der Reichsvertretung Jacob Hoffmann entzog das NS-Regime die deutsche Staatsbürgerschaft, schob ihn trotz heftiger Proteste der Gemeinde und Interventionen ungarischer Diplomaten nach Ungarn ab. Im Herbst 1938 traf es den in der jüdischen Wohlfahrt sehr engagierten Gemeinderabbiner Jacob Horovitz, der unter Vorwänden verhaftet und ins Gefängnis geworfen wurde, das er nach Folterungen als gebrochener Mann verließ, nach Holland emigrierte und dort bald starb.

 

Literatur::

Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945, hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt am Main 1963, S. 17 (Aufruf) und Bericht von Willy Mainz (1946 verfaßt), S. 239–255

Rachel Heuberger/Helga Krohn, Hinaus aus dem Ghetto …, Juden in Frankfurt am Main 1800–1950, Frankfurt am Main 1988, S. 171ff.

Ab 1933 musste die Israelitische Gemeinde wegen der wachsenden NS-Repressionen immer größere finanzielle Mittel zur Kompensation sozialer Probleme aufwenden. Zugleich wurde sie vom NS-Regime auch immer stärker als verantwortliche Instanz für die Organisation des öffentlichen jüdischen Lebens in der Stadt haftbar gemacht.



Autor/in: Ernst Karpf
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Hoffmann, Jakob


Horovitz, Jakob

Verwandte Begriffe

Berufsumschichtung


Schächten

Verwandte Orte

Anlernwerkstätte


Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe


Israelitische Gemeinde


Jüdisches Jugendheim


Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde


Palästina-Amt


Strandbad Niederrad


Zentrale für Schächtwesen

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