Das Stadtarchiv Frankfurt von 1933 bis 1945

Das Stadtarchiv Frankfurt am Main stand von 1938 bis 1945 unter der Leitung des aktiven Nationalsozialisten Harry Gerber, der nach dem November 1938 die Bestände der Jüdischen Gemeinde übernahm. Wegen zu spät begonnener Auslagerungen erlitt das Frankfurter Stadtarchiv 1944 schwerste Verluste.

Bis zu seiner völligen Zerstörung am 29. Januar und 12. September 1944 war das Frankfurter Stadtarchiv (heute Institut für Stadtgeschichte) in einem 1878 bezogenen Zweckbau in Stahlskelettbauweise am Weckmarkt südlich des Doms untergebracht, den es sich mit dem Historischen Museum teilte. Schon bald erwies sich dieser Bau als zu klein, so dass Ausweichräume die wachsenden Bestände aufnehmen mussten. Im Jahr 1933 stand es unter der Leitung von Otto Ruppersberg (ab 1936 Mitglied der NSDAP), dem 1938 Harry Gerber (1888-1959) folgte, der seit 1926 als Archivrat am Stadtarchiv gearbeitet und zuvor als Studienrat an der Wöhlerschule unterrichtet hatte. Gerber war ab dem 1. April 1933 überzeugter Nationalsozialist und von 1940 bis 1945 Zellenleiter der Zelle 08 in der Ortsgruppe Dornbusch. Damit gehörte er zu den politischen Leitern. 1942 lehnte er ein Angebot zur Übernahme der Leitung des Staatsarchivs Metz ab.

Wie alle deutschen Archive mit personenkundlichen Beständen, so erlebte auch das Stadtarchiv Frankfurt nach 1933 wegen der „Ariernachweise“ einen Benutzeransturm und nutzte ihn zur Verstärkung seines Personals. Nach dem 9. November 1938 erhielt Gerber von Oberbürgermeister Krebs den Auftrag, die Archivalien der jüdischen Gemeinde sicherzustellen und konnte das vorhandene Schriftgut zunächst übernehmen. Doch schon am 12. November wurde es von der Gestapo beschlagnahmt und nach anfänglicher Verzeichnung drei Tage später abtransportiert. Gerber bemühte sich um eine Rückgabe und erhielt die Unterlagen der jüdischen Gemeinde im November 1939 zurück. Die Personenstandsunterlagen mussten im November 1941 an die Zentralstelle für jüdische Personenstandsregister im Altreich abgegeben werden; Gerber hatte zuvor Sicherungsfilme anfertigen lassen. Wenig später übernahm er das Schriftgut des Philanthropin, der jüdischen Oberschule.

Nach der Besetzung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande richteten die jeweiligen Militärverwaltungen zur Erfassung, Sicherung, Verfilmung und zum Austausch von Archivgut Archivschutzkommissionen ein. Gerber zeigte reges Interesse und erreichte mit einem Forschungsvorhaben zum Oberrheinischen Reichskreis die Aufnahme in das „Westprogramm“. Vom 8. Oktober bis 9. November 1941 war er dienstlich in Paris und studierte Akten zu Frankfurter Themen. Im Dezember 1941 folgte ein ähnlicher Studienaufenthalt in Belgien und den Niederlanden. Weitere geplante und auch schon genehmigte Reisen kamen nicht mehr zustande, weil der Luftkrieg Frankfurt zunehmend bedrohte.

Schon 1939 waren erste Vorkehrungen für den Luftschutz getroffen worden. Für ein Archiv war eine der wichtigsten davon die Auslagerung. Gerber verhielt sich hier sehr zögerlich und hielt den Bau am Weckmarkt inmitten der äußerst brandgefährdeten Frankfurter Altstadt für sicher. Als die Stadt Frankfurt 1942 mit der Auslagerung von Kulturgut und anderen Werten begann, folgte auch Gerber mit Zögern und unter Berufung auf einen Erlass des Reichspropagandaministeriums zum Weiterbestehen des wissenschaftlichen Lebens und ließ allmählich und in größerem Maße ab August 1943 Bestände in Lager inner- und außerhalb des Stadtgebietes verbringen wie in die Kronberger Burg, das Schloss von Assenheim und die Salzbergwerke bei Heilbronn. Die im Herbst 1943 einsetzenden schweren Luftangriffe verhinderten weitere Auslagerungen, da die vorhandenen Fahrzeuge zur Evakuierung von Ausgebombten und für die Lebensmittelversorgung benötigt wurden. Die im Dezember 1943 wieder aufgenommenen Auslagerungen kamen für viele Bestände zu spät. Die angeblich bombensichere „Zerschellschicht“ auf dem Fußboden des Zwischengeschosses hielt dem kombinierten Einsatz von Brand- und Sprengbomben nicht stand. Der schwere Bombenangriff vom 29. Januar 1944, der große Teile der Innenstadt zerstörte, traf auch das Archivgebäude und vernichtete rund ein Drittel seiner Bestände, darunter stadtgeschichtlich äußerst wichtiges Material, das unwiederbringlich verloren war, wie die Archivalien der jüdischen Gemeinde. Hinzu kamen nicht bezifferbare Archivalienverluste in den städtischen Behörden der Innenstadt. Bei den Aufräumungs- und Rettungsarbeiten waren französische und polnische Fremdarbeiter im Einsatz. Während des Angriffs vom 12. September 1944 wurden die Reste des Archivgebäudes am Weckmarkt völlig vernichtet und dieses nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut.

Gerber wurde am 28. Juni 1945 aus dem städtischen Dienst entlassen und auch später nicht wieder eingestellt. Die verbliebenen Archivbediensteten waren mit der Rückführung der ausgelagerten Bestände und deren notdürftiger Unterbringung in Bunkern sowie der Erfassung der Verluste beschäftigt. Mit der Bestellung von Hermann Meinert zum Archivdirektor 1947 endete die Zeit kommissarischer Leitungen.

 

 

Literatur und Quellen::

Hermann Meinert, Das Stadtarchiv Frankfurt a. M. im zweiten Weltkriege, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 5. Folge, 1, 1948, S. 35-41

ISG, Altakten des Stadtarchivs (Bestandsrest), ferner Akten des Magistrats und des Kulturamtes.

Das Stadtarchiv Frankfurt am Main stand von 1938 bis 1945 unter der Leitung des aktiven Nationalsozialisten Harry Gerber, der nach dem November 1938 die Bestände der Jüdischen Gemeinde übernahm. Wegen zu spät begonnener Auslagerungen erlitt das Frankfurter Stadtarchiv 1944 schwerste Verluste.



Autor/in: Konrad Schneider
erstellt am 01.01.2005
 

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