Das Zwangslager Dieselstraße 1937-1942

Lageplan des Frankfurter Bauamts vom „Zigeunerlager“ Dieselstraße, 1936

Zeitungsartikel zum Lager Dieselstraße von 1938

Die Geschwister Wanda Michaelis, geb. Adler, und Herbert „Ricky“ Adler. Die beiden am 9. März 1943 deportierten Frankfurter Sinti zählen zu den wenigen, die das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt haben.


Von 1937 bis 1942 diente das städtische Zwangslager Dieselstraße der Zwangsinternierung von Sinti und Roma. Auch Betroffene aus Mietswohnungen wurden in Wagen eingewiesen und mussten hinter Stacheldraht und unter Polizeibewachung leben.

1937 richtete die Stadt Frankfurt in der Dieselstraße 40 ein Zwangslager für Sinti und Roma ein. Während sich mit dem 1935 geschlossenen „Konzentrationslager an der Friedberger Landstraße“ noch die Absicht verbunden hatte, die Sinti und Roma zum Verlassen Frankfurts zu bewegen, diente das Lager Dieselstraße im Osthafengebiet einer dauerhaften Internierung. Verantwortlich für das Lager war das Frankfurter Fürsorgeamt. Dessen Amtsjurist Rudolf Prestel (1898-1979) sorgte dafür, dass das Lager einen Schutzpolizisten als Lagerkommandanten erhielt. Am 18. August 1937 wurden die ersten 55 Sinti und Roma ins Lager eingewiesen. Es handelte sich zunächst ausschließlich um Familien, die zuvor in eigenen Wohnwagen gelebt hatten.

Videodokument: Ausschnitt aus einem Interview mit Herbert Adler 1996 über die Zustände im Zwangslager Dieselstraße; © Herbert Adler/Fritz Bauer Institut

Ab 1938 wurden auch Sinti und Roma in der Dieselstraße interniert, die zuvor in Frankfurter Mietswohnungen gelebt hatten. Für sie beschaffte die Stadt Frankfurt Möbelwagen, die notdürftig zu Wohnzwecken hergerichtet wurden. Für diese zugewiesene Behausung mussten die Zwangsinternierten an die Stadt Frankfurt Miete zahlen. Der Frankfurter Sinto Herbert Adler (genannt Ricky) hatte mit seinen Eltern und Geschwistern vorher in Sachsenhausen in einer Mietswohnung in der Löhergasse gewohnt. Nach der polizeilichen Einweisung ins Lager Dieselstraße blieb der gesamten Familie nur ein kleiner Wagen.

Das Zwangslager Dieselstraße war von einem 1,50 Meter hohen Maschendrahtzaun mit einer Doppelreihe Stacheldraht umgeben. Ein Verlassen des Lagers war nur unter bestimmten Bedingungen möglich, etwa bei Nachweis einer außerhalb befindlichen Arbeitsstelle. Bis 1941 konnten Kinder das Lager noch zum Besuch der nahe gelegenen Schulen verlassen. Im März 1941 wurden sie vom Schulbesuch ausgeschlossen. Nur wenige Sinti und Roma wagten die Flucht aus dem Lager, denn eine solche endete, wie exemplarisch belegt ist, im Allgemeinen mit einer Ausschreibung zur Fahndung und mit der Festnahme.

Im Lager selbst waren die Internierten dem Zwang und der Terrorisierung durch den Lageraufseher Johannes Himmelheber ausgeliefert. Himmelheber sorgte für die Einhaltung einer rigiden Lagerordnung. Dazu setzte er seine Peitsche ein und verhängte Lagerstrafen. Der Aufseher hielt täglich Lagerappelle ab, bei denen die Internierten strammstehen und mit dem „Hitler-Gruß“ salutieren mussten. Himmelhebers ständige Drohung mit der KZ-Einweisung verbreitete Angst und Schrecken unter den Internierten und verschaffte ihm eine uneingeschränkte Machtposition.

Die Zahl der Internierten wuchs ständig an, obwohl die Polizei immer wieder Internierte von der Dieselstraße aus in verschiedene Konzentrationslager wie Buchenwald oder Dachau einwies. Im Mai 1941 befanden sich 160 Sinti und Roma im Lager Dieselstraße. Ab Mai 1938 wies die Polizei auch immer wieder auswärtige Sinti und Roma ins Lager ein. Die „Dienststelle für Zigeunerfragen“ der Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt im Polizeipräsidium gab dem Lager Dieselstraße also eine überörtliche Funktion und nutzte es zur Umsetzung ihrer Ziele bei der Sinti- und Romaverfolgung. Beispielsweise wies die Kriminalpolizeileitstelle am 24. Juni 1940 16 Sinti und Roma aus Rheinhessen ins Zwangslager Dieselstraße ein, die von den Maideportationen ins Generalgouvernement verschont geblieben waren. Bereits Anfang 1938 war das Zwangslager Dieselstraße auch Schauplatz von rassenbiologischen Erfassungen, die die „Rassenhygienische Forschungsstelle“ von Robert Ritter (1901-1951) an den internierten Sinti und Roma vornahm.

Ursprünglich hatte das Lager eine Ausdehnung von 14.000 Quadratmetern. Ab 1941 wurde es auf 6.000 Quadratmeter verkleinert, was mit einer größeren Enge für die Internierten einher ging. Das übrige Gelände wurde fortan von der Firma Matra für Zwecke der Kriegsproduktion genutzt. 1942 beanspruchte Matra das gesamte Gelände, so dass das Zwangslager Dieselstraße im September/Oktober 1942 geschlossen und durch das Zwangslager Kruppstraße ersetzt wurde.

 

 

Literatur und Quellen::

Peter Sandner, Frankfurt. Auschwitz, Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1998

Herbert Adler, Herbert Adler, ein Frankfurter Sinto, berichtet. Von der Dieselstraße nach Auschwitz. In: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main / Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen (Hg.), „Der Schrecken aber endete nicht“. Reden gegen das Vergessen, Frankfurt am Main 1993, S. 41-47.

Eva von Hase-Mihalik / Doris Kreuzkamp, Du kriegst auch einen schönen Wohnwagen. Zwangslager für Sinti und Roma während des Nationalsozialismus in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1990

Wolfgang Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit, Bd. II: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, Frankfurt am Main 1986

Akte im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Akte des Magistrats 5.901

Akte im Hessischen Hauptstaatsarchiv (Wiesbaden): Abt. 520 FZ Nr. 6638

Von 1937 bis 1942 diente das städtische Zwangslager Dieselstraße der Zwangsinternierung von Sinti und Roma. Auch Betroffene aus Mietswohnungen wurden in Wagen eingewiesen und mussten hinter Stacheldraht und unter Polizeibewachung leben.



Autor/in: Peter Sandner
erstellt am 01.01.2006
 

Verwandte Personen

Adler, Herbert


Himmelheber, Johannes


Prestel, Rudolf

Verwandte Begriffe

Roma


Sinti


Zigeuner

Verwandte Orte

Zwangslager Dieselstraße

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