Die 1853 gegründete Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft war in ihrer pädagogischen Ausrichtung der jüdischen Orthodoxie verpflichtet, was Althebräisch-, Bibel- und Talmudunterricht einschloss. Unter den ab 1933 sich ständig verschärfenden Bedingungen der nationalsozialistischen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden musste sie ihren Unterricht zum Teil auf praktische Fächer und auf für die Auswanderung benötigte Sprachkenntnisse umstellen. Ein halbes Jahr nach dem Novemberpogrom von 1938 wurde die Schule aufgelöst.
Als die Am Tiergarten 8 gelegene Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft im 1928 ihr 75jähriges Bestehen feierte, erhielt sie zu Ehren ihres Gründers den Namen „Samson Raphael Hirsch-Schule“. Die Schule, die zu diesem Zeitpunkt ein Lyzeum (Mädchen-Oberschule) und eine Realschule für Jungen mit zusammen fast 400 Schülern und 22 Lehrern umfasste, war in ihrer Ausrichtung der jüdischen Orthodoxie verpflichtet, was Althebräisch-, Tnach- (hebr. Bibel) und Talmudunterricht einschloss. Trotz großer finanzieller Probleme konnte die Schule unter dem neuen Direktor Marcus Elias ihr Profil bis Anfang 1933 erhalten. Die danach einsetzenden Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen der NS-Politik wirkten sich unmittelbar auf die Entwicklung der Schule aus.
Aus der Rückschau des Lehrers Meier-Schüler von 1939/1940, die unter Zensurbedingungen verfasst wurde, liest sich das so (zitiert aus: Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt am Main, S. 105):
„Wie das Leben und seine Notwendigkeiten die verschiedenen Unterrichtsfächer stark beeinflußten, wie die Gegenwartskunde vor abstraktem umd historischem Wissen bevorzugt und wie das Jüdische intensiviert wurde, ergibt sich aus folgender kurzer Übersicht … Eine Neuerung war die Einführung des Iwrith, der hebräischen Umgangssprache. Durch die wachsende Bedeutung Palästinas als Auswanderungsziel für die deutschen Juden wurden alle früheren theoretischen Erörterungen über die Berechtigung einer solchen Neueinführung an der S. R. Hirsch-Schule hinfällig. Seit 1935 wurde in sämtlichen Klassen Iwrith gelehrt. In Verbindung damit stand die Pflege der Palästinakunde; seit Jahren waren Lehrer an der Anstalt tätig, die das Land aus eigener Anschauung kannten …“
Darüber hinaus wurde auch der Englischunterricht als Vorbereitung für die Emigration erheblich verstärkt. Die Schule musste mit dem zusätzlichen oder erweiterten Sprachunterricht und der Palästinakunde dem Auswanderungsdruck auf die jüdische Bevölkerung Rechnung tragen und mit zusätzlichen Maßnahmen der Ausgrenzung der Juden aus ihrem bisherigen Erwerbsleben („Berufsumschichtung“) begegnen. „Von größter Wichtigkeit waren aber angesichts der immer stärker um sich greifenden Umschichtung die 1933 begründeten und bis 1938 fortgesetzten Schreinerkurse …“ kennzeichnet der genannte Autor (S. 106) die Aktivitäten der Schule außerhalb des normalen Unterrichts. Zugleich konstatiert er ein seit 1933 erheblich gewachsenes Engagement der Schüler für den Sport mit dem Ziel, die körperliche Widerstandskraft zu erhöhen.
Gleichzeitig konzentrierte sich der Lehrplan in den normalen Unterrichtsfächern auf jüdische Themen, um dem Ausgrenzungsdruck Selbstbewusstsein und mentale Stärke entgegensetzen zu können. Interessant ist hier der Hinweis des Autors auf den Biologieunterricht: „Beim naturwissenschaftlichen Unterricht sei hervorgehoben, daß den Erfordernissen der Zeit entsprechend die Schüler mit den Grundtatsachen der Vererbungslehre und der Rassenkunde des jüdischen Volkes bekannt gemacht wurden.“ Damit wollte der Autor wahrscheinlich der Zensur genüge tun und auf die getreue Ausübung der auch an jüdischen Schulen als Pflichtunterricht vorgesehenen NS-Rassenkunde hinweisen. Der starke Zuwachs durch Schüler, die sich aus dem ländlichen und kleinstädtischen Umland nach Frankfurt flüchteten, zwang die Schule ab 1934 Förderkurse in Hebräisch einzurichten, damit diese Schüler dem Unterricht folgen konnten. Für diese Schüler wurde mit Hilfe der Agudas Jisroel ein Wohnheim (Beth Nearim) in unmittelbarer Nachbarschaft gegründet. Mit dem Ausschluss jüdischer Schüler aus den Berufsschulen übernahm die Schule eine doppelte Aufgabe. Sie musste nun jüdischen Fortbildungsunterricht für Schüler der Anlernwerkstätte und Schülerinnen des Haushaltungsschule als Ersatz für die nichtjüdische Berufsschule erteilen. Pläne der Lehrerschaft, einen Ableger in Palästina für ausgewanderte Jugendliche zu gründen oder die ganze Schule nach London zu transferieren, scheiterten.
Bis 1938 bleiben die Schülerzahlen zwar relativ konstant, die Schülerschaft selbst unterlag aber einer starken Fluktuation, wie es im Bericht weiter heißt (S. 111): „Da die Auswanderung aus der die Schule tragenden Gemeinde, der Israelitischen Religionsgesellschaft, schon früh eingesetzt hatte, wäre ein starker Schwund der Schülerzahl schon in der Mitte der dreißiger Jahre eingetreten, wenn nicht starker Zuzug von auswärts erfolgt wäre; auch zahlreiche Fahrschüler kamen täglich aus der Umgebung.“ Finanziell konnte sich die Schule bis dahin dank vieler Spenden ihrer Gemeindemitglieder („Nothilfe“) und Zuwendungen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gerade so über Wasser halten.
Mit der Ausweisung der polnischen Juden aus dem Reich im Oktober 1938 verlor die Schule weiter Schüler, und der unmittelbar folgende Pogrom vom 9./10. November („Reichskristallnacht“) mit der anschließenden Internierung der männlichen Juden (von 16 bis 60 Jahren) in Konzentrationslager leitete das Ende der Schule ein. Der Bericht schildert die Folgen in zensurbedingt vorsichtiger Sprachwahl (S. 115): „Am 10. November mußte dann wegen der Aktion gegen die jüdische Bevölkerung die Schule geschlossen werden. Die an diesem Tag eingesetzten Maßnahmen entzogen den Direktor und fast sämtliche männliche Mitglieder des Kollegiums für Wochen, teilweise für Monate ihrem Dienste.“ In das Gebäude wurde jetzt zusätzlich die Israelitische Volksschule einquartiert, im Singsaal die Kinderspeisung durchgeführt und die Turnhalle für den Gottesdienst der Gemeinde reserviert, weil die Synagoge an der Friedberger Anlage nicht mehr benutzt werden durfte. 14 Tage nach dem Pogrom organisierte die verbliebene Lehrerschaft (7 Lehrer) einen Notunterricht für die etwa 200 Schüler und intensivierte zugleich die Bemühungen um die Jugendfürsorge, vor allem um die Kinderverschickung ins Ausland. Die von den NS-Behörden angeordnete Zwangsvereinigung der Israelitischen Religionsgesellschaft mit der Israelitischen Gemeinde zur Jüdischen Gemeinde beschleunigte den Prozess der Auflösung, wie der Berichterstatter feststellt (S. 116). „Es wurde sehr bald offenbar, daß die Fortführung der Samson Raphael Hirsch-Schule in der alten Weise unmöglich sein würde, da fast sämtliche Lehrer in Kürze das Land zu verlassen gedachten und es ausgeschlossen war, Ersatzlehrkräfte zu finden; auch war damit zu rechnen, daß die Schülerzahl durch Auswanderung weiter stark zurückgehen würde.“
Am 30. März 1939 wurde die Schule aufgelöst, die verbliebenen 84 Schüler konnten zum kleineren Teil durch die Kinderverschickung ins Ausland gerettet werden, die große Mehrzahl ging in Klassen der Israelitischen Volksschule oder des Philanthropins über.
Literatur::
Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt am Main. Dokumente – Erinnerungen – Analysen, hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, bearb. von Hans Thiel, Frankfurt am Main 2001, darin insbesondere: Meier- Schüler: Geschichte der Samson-Raphael-Hirsch-Schule 1928–1939, S. 101–118
Die 1853 gegründete Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft war in ihrer pädagogischen Ausrichtung der jüdischen Orthodoxie verpflichtet, was Althebräisch-, Bibel- und Talmudunterricht einschloss. Unter den ab 1933 sich ständig verschärfenden Bedingungen der nationalsozialistischen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden musste sie ihren Unterricht zum Teil auf praktische Fächer und auf für die Auswanderung benötigte Sprachkenntnisse umstellen. Ein halbes Jahr nach dem Novemberpogrom von 1938 wurde die Schule aufgelöst.