Ghettoisierung bedeutete in Frankfurt die planmäßige Konzentration der jüdischen Bevölkerung in bestimmten Häusern und Nachbarschaften („Juden- bzw. Ghettohäuser“), ohne dass (wie in den Städten des besetzten Osteuropas) die Judenschaft in ein jeweils hermetisch abgegrenztes Stadtviertel eingepfercht worden wäre. Gleichwohl diente auch in Frankfurt die Ghettoisierung dazu, einerseits jüdischer Immobilien habhaft zu werden und andererseits die Deportationen in die Vernichtungslager vorzubereiten.
Eine Ghettoisierung, die der brutalen Konsequenz bei der Einrichtung von Ghettos im besetzten Osteuropa entsprochen hätte, hat es für die Juden in Frankfurt so nicht gegeben. Dennoch hat das NS-Regime auch hier in Frankfurt einen Prozess organisiert, der – wenn auch langsamer und räumlich nicht so deutlich – den gleichen Prinzipien der Konzentrierung und Verbannung der Juden diente und schließlich im Zuge der „Endlösung“ die Deportation in die Vernichtungslager des Ostens einschloss. Die bisher dazu erschlossenen Quellen reichen nicht aus, alle Vorgänge bis ins Detail zu rekonstruieren, aber die Grundzüge dieser Entwicklung lassen sich durchaus nachvollziehen.
Ende des 18. Jahrhunderts aus dem spätmittelalterlichen Ghetto „Judengasse“ entlassen, hatte sich die jüdische Bevölkerung Frankfurts bis 1933 auf alle Frankfurter Stadtteile verteilt, dabei entwickelten sich allerdings Schwerpunkte jüdischer Nachbarschaften, die vor allem im Ostend, Westend und Nordend lagen. 1933 lebten in Frankfurt etwa 29.000 jüdische Menschen in rund 10.000 Häusern oder Wohnungen.
Die nationalsozialistische Politik der Rassentrennung, Verfolgung und Ausplünderung der Juden begann in Hinblick auf deren Wohnsituation bereits 1933 für aus Beamtenverhältnissen entlassene Juden mit dem Verlust ihrer Dienstwohnungen und verschärfte sich ab 1935 in mehreren Stufen auch für alle anderen: Juden wurden aus gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften ausgeschlossen, Juden mit Immobilienbesitz durften nur noch an „Nichtarier“ vermieten; „arischen“ Vermietern wurde die Kündigung von jüdischen Mietern erleichtert.
Vom Novemberpogrom („Reichskristallnacht“) 1938 bis zum Frühjahr 1939 schuf das NS-Regime weitere Bedingungen für den Prozeß der räumlichen „Rassentrennung“:
- Nichtjüdische Hausbesitzer mussten rechtliche Sanktionen fürchten, wenn sie an Juden vermieteten.
- Judenfreundliche Nichtjuden konnten ihren Mieterschutz verlieren (wegen „artvergessenem Verhalten“, das das Vertrauensverhältnis zum „arischen“ Hausbesitzer zerstörte).
- Zeitliche Ausgangssperren konnten für Juden angeordnet werden. Das Verbot für Juden, bestimmte Institutionen, Gebäude oder Anlagen zu betreten, konnte auf die Sperrung ganzer Stadtviertel ausgedehnt werden.
- Juden verloren das Recht auf Mietbeihilfen.
- Der Mieterschutz für Juden wurde gesetzlich aufgehoben: jüdische Hausbesitzer und Mieter konnten nun legal aus ihrem Besitz vertrieben und in „Judenhäuser“ zwangsweise einquartiert werden, wobei bestimmte Stadtviertel für Juden gesperrt wurden.
- Reichsministerien begannen mit Planspielen für eine allgemeine und räumlich zusammenhängende Ghettoisierung (die aber vom Reichssicherheitshauptamt aus Überwachungsgründen abgelehnt wurde).
- Schließlich fingen die Behörden an, systematisch den Immobilienbesitz und die Wohnsituation von Juden zu erfassen.
Als das Gesetz zur Regelung der Mietverhältnisse der Juden im Mai 1939 in Kraft trat, meldeten sich zahlreiche Interessenten, die jüdische Immobilien übernehmen wollten. Die Gemeindebehörden wurden von der Reichsregierung ermächtigt zu bremsen, um zunächst den eigenen Bedarf zu ermitteln. In Frankfurt gab die Stadt am 30. Januar 1939 eine Bekanntmachung heraus, die die Juden gleichsam im Vorgriff auf kommende Schikanen zur freiwilligen Räumung bewegen sollte. (zitiert aus: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden, S. 236):
„Alle jüdischen Mieter, die in einem Gebäude wohnen, das nicht einem Juden gehört, müssen damit rechnen, daß sie in nächster Zeit ihre Wohnung zu räumen haben. Diesen jüdischen Mietern wird geraten, sich schon jetzt freiwillig um eine Wohnung als Mieter oder Untermieter zu bemühen in einem Hause, das einem Juden gehört, um eine behördliche zwangsweise Unterbringung zu vermeiden. Jedoch wird davor gewarnt, nach ………… umzuziehen.“
Die Ziele des neuen Gesetzes werden in einem Berichts des NS-Gaudienstes vom 8. Juli 1939 ersichtlich (Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden, S. 235f. und Daub, Stadt, S. 328f.):
„Danach ist oberster Grundsatz die Trennung von Juden und Ariern im Rahmen einer Hausgemeinschaft. Alle Möglichkeiten, eine solche Trennung baldmöglichst, aber auch planmäßig durchzuführen, sind aus diesem Gesetz ersichtlich.“ Juden sollen aus großen Wohnungen herausgeworfen werden. „Andererseits muß allerdings dafür gesorgt werden, daß insbesondere in den großen Städten des Reichs eine Obdachlosigkeit der aus den ländlichen Gebieten zugewanderten Juden verhindert wird. … Wenn auch Ghettobildung nicht erwünscht ist, so ist selbstverständlich, daß in den repräsentativen Straßen der Städte und in den bevorzugten Geschäftsstraßen für jüdische Familien kein Raum mehr ist. Die Juden sollen zu Juden ziehen und sich in wenigen Häusern bestimmter Stadtviertel aufhalten. … Es wird in Zukunft also so sein, daß bei dem Freiwerden von Wohnungen, die bisher von jüdischen Mietern in nichtjüdischen Häusern bewohnt wurden, diese nach Möglichkeit deutschen Volksgenossen zur Verfügung gestellt werden, die bisher in jüdischen Häusern wohnen mußten. Dadurch besteht die Möglichkeit, in den für jüdische Mieter in Frage kommenden Häusern jüdische Familien einzuweisen. Es ist der Wille des Gesetzgebers, daß sich die Umschichtung der jüdischen Mieter möglichst bald und ohne Zwangsmaßnahmen vollziehen kann. Sollten allerdings die Juden nicht baldmöglichst die Ziele des Gesetzgebers, eine vollständige Trennung von Juden und Ariern in einer Hausgemeinschaft zu erzielen, zu erreichen suchen, könnten Zwangsmaßnahmen nicht erspart werden …“
Eines der wichtigsten Elemente zur Umsetzung dieser Politik war die Erfassung des von Juden genutzten Wohn- und Geschäftsraums. Dazu wurde für die Vermieter bzw. Eigentümer eine Meldepflicht eingeführt, und diese stets zu aktualisierenden Meldungen wurden in Frankfurt vom Fürsorgeamt in einer Kartei erfasst – welche anderen städtischen, staatlichen und wissenschaftlichen Dienststellen an der Umsetzung beteiligt waren, ist bisher noch nicht ausreichend geklärt. 1941, nach den ersten Deportationen, versuchte Gauleiter Jakob Sprenger institutionellen Zugriff auf die von Juden geräumten Wohnungen zu erhalten. Eine zentrale Rolle im Prozess der Umsiedlung und Räumung spielte jedenfalls Ernst Holland, „Beauftragter der Geheimen Staatspolizei bei der Jüdischen Wohlfahrtspflege“, der einerseits als städtischer Inspektor und andererseits als der Gestapo Verantwortlicher in einer institutionellen Grauzone agierte.
Insgesamt dürfte es zwischen 1939 und 1945 bis zu 300 „Juden- oder Ghettohäuser“ in Frankfurt gegeben haben, Häuser, in den ausschließlich oder überwiegend jüdische Bewohner lebten. Fast alle von ihnen lagen im Bereich Ostend, Westend, Nordend, Innenstadt, also innerhalb des Alleenrings und nördlich des Mains, die meisten von ihnen an größeren Einfallsstraßen, aber nicht an den Geschäftsstraßen; Beispiele sind Mendelssohnstraße und Liebigstraße im Westend, Sandweg und Röderbergweg im Ostend.
Ob die Räumungs-, Umsiedlungs- und Deportationsentscheidungen seitens der Behörden systematisch auf die Optimierung sozialer Kontrolle ausgelegt war (wie es für andere Städte nachweisbar ist), kann für Frankfurt bisher nicht ermittelt werden, neben anderen Kriterien dürfte aber der vorrangige Zugriff auf besonders wertvollen Immobilienbesitz ein zentrales Motiv gewesen sein. Nach den letzten großen Deportationen im Sommer 1942 lebten die wenigen verbliebenen Juden Frankfurts in Häusern des Ostends – alle anderen Stadtviertel waren von den städtischen und staatlichen Dienststellen erfolgreich „judenfrei“ gemacht worden.
Literatur
Ute Daub, Die Stadt Frankfurt am Main macht sich „judenfrei“. Zur Konzentrierung, Verbannung und Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung zwischen 1938 und 1943, in: Monica Kingreen (Hg.), „Nach der Kristallnacht“, Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945 (Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 17), Frankfurt am Main 1999, S. 319–356
Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden, 1933–1945, hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt am Main 1963
Ghettoisierung bedeutete in Frankfurt die planmäßige Konzentration der jüdischen Bevölkerung in bestimmten Häusern und Nachbarschaften („Juden- bzw. Ghettohäuser“), ohne dass (wie in den Städten des besetzten Osteuropas) die Judenschaft in ein jeweils hermetisch abgegrenztes Stadtviertel eingepfercht worden wäre. Gleichwohl diente auch in Frankfurt die Ghettoisierung dazu, einerseits jüdischer Immobilien habhaft zu werden und andererseits die Deportationen in die Vernichtungslager vorzubereiten.