Das Symphonieorchester des Jüdischen Kulturbunds Rhein-Main/Frankfurt am Main

Konzertprogramm in den Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes, Bezirk Rhein-Main/Frankfurt am Main, 2. Jahrgang, 1935, Heft 8, Seite 12.

Konzertprogramm in den Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes, Bezirk Rhein-Main/Frankfurt am Main, 3. Jahrgang, 1937, Heft 7, Seite 9

Telegramm an den Flötisten Erich Toeplitz vom 26.5.1936

Unter dem Dach des 1933 gegründeten Kulturbundes Deutscher Juden wurde in Berlin und Frankfurt jeweils ein Symphonieorchester eingerichtet, um wegen der NS-Verfolgung arbeitslos gewordenen Musikern eine Perspektive zu bieten. Die Konzerte durften auf Befehl des NS-Regimes nur von Juden besucht werden. Das erste Konzert in Frankfurt fand 1934 statt. In der Folge musste das Programm immer mehr auf „nichtarische“ Komponisten beschränkt werden. Raum-, Besetzungs- und finanzielle Probleme begleiteten die Arbeit bis zum Frühjahr 1938, als das letzte Konzert des Frankfurter Orchesters aufgeführt wurde.

 

Nachdem im Oktober 1933 auf Initiative von Kurt Singer in Berlin der Kulturbund Deutscher Juden seine Tätigkeit aufgenommen hatte, konstituierte sich am 17. April 1934 in Frankfurt am Main der Kulturbund Deutscher Juden Bezirk Rhein-Main/Frankfurt am Main. Bereits im Vorfeld hatten die nach künstlerischen Sparten gegliederten Arbeitskommissionen zusammengefunden, um die ersten Aktivitäten zu planen. Der Arbeitskommission für Musik gehörten unter anderem Hans Wilhelm (William) Steinberg, Nathan Ehrenreich, Paul Hirsch, Rosy Geiger-Kullmann, Artur Holde, Max Kowalski, Bernhard Sekles und Benno Ziegler an. Das Hauptinteresse Steinbergs, der als künstlerischer Leiter auch dem Vorstand der Organisation angehörte, lag von Anfang an auf der Gründung eines Berufsorchesters nach dem Vorbild des Berliner Kulturbundorchesters. Es sollte arbeitslos gewordenen jüdischen Musikern die weitere Ausübung ihres Berufs ermöglichen und durch ein festes Gehalt ihren Lebensunterhalt sichern. Das Frankfurter Orchester blieb neben dem des Berliner Kulturbunds das einzige dieser Art.

 

Steinberg engagierte einige Frankfurter Musiker, veranstaltete aber auch Probespiele in anderen deutschen Städten, um professionelle Kräfte und fortgeschrittene Studenten zu finden. Innerhalb von nur zwei Monaten entstand so ein 35-köpfiges Symphonieorchester, das bei Bedarf auf etwa 60 Mitglieder erweitert werden konnte. Das Orchester debütierte am 28. Mai 1934 im Großen Saal der Frankfurt-Loge. Auf dem Programm standen Schuberts 5. Symphonie, Beethovens 1. Symphonie sowie das Violinkonzert von Felix Mendelssohn. Solist des Abends war der Konzertmeister des Kulturbundorchesters Hans Bassermann. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit konnte Nathan Ehrenreich im „Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt“ berichten: „Steinberg hat in dem Streichkörper eine erlesene Schar von Musikern um sich gesammelt, die jedem noch so hoch gestellten Anspruch genügen. Auch die heikle Bläserfrage ist für den Anfang recht glücklich gelöst.“ Die hier anklingenden Besetzungsprobleme begleiteten das Orchester während der gesamten Zeit seines Bestehens und konnten hin und wieder nur umgangen werden, indem Musiker auf ein anderes Instrument „umstiegen“. Ein Mitglied des Orchesters berichtet im Februar 1935 in den „Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes“: „[…] das Schlagzeug bedient unser Oboist. Was sage ich: Oboist? Er spielte doch in Schönbergs ‚Verklärter Nacht‘ das Cello? Da bläst sogar einer für zwei. Nicht FF. Nein, er muß ein fehlendes Instrument in seine Stimme mit übernehmen.“

 

Die Konzerte des Orchesters konnten nur von Mitgliedern des Kulturbunds besucht werden. Karten wurden einzeln oder im Abonnement an die Mitglieder verkauft. Diese Einnahmen deckten aber lediglich einen kleinen Teil der für die Finanzierung des Orchesters benötigten Summe. Den weitaus größten Anteil an der Finanzierung hatten die Frankfurter Israelitische Gemeinde und private Spender. Ein weiterer, ebenfalls geringer Teil der Einnahmen ergab sich aus Konzertreisen in andere Städte. Ende 1934 gastierte das Orchester erstmals im Rheinland und im Ruhrgebiet. Auch die aus Mitgliedern des Orchesters gebildeten Teilensembles wie das Kulturbundquartett (bestehend aus Hans Bassermann, Ernst Drucker, Richard Karp, Felix Robert Mendelssohn und später Ary Schuyer) gastierten häufig in anderen Städten.

 

Eine enge Zusammenarbeit bei Oratorien- und Opernproduktionen verband das Kulturbundorchester mit den von Nathan Ehrenreich geleiteten Chören (Jüdischer Kammer-Chor und Jüdische Chorvereinigung); am 12. Februar 1935 wurde als erste szenische Aufführung innerhalb des Frankfurter Kulturbunds der 2. Akt der „Fledermaus“ gegeben. Insgesamt fanden im ersten Jahr der Aktivitäten des Jüdischen Kulturbunds Rhein-Main (April 1934 bis März 1935) 75 Orchester- und Kammermusikkonzerte statt. Die Programmgestaltung war von Anfang an aufgrund unterschiedlicher Faktoren nicht leicht. Einerseits durfte das Publikum nicht durch zu viel „Exotisches“ oder Experimentelles verschreckt werden, andererseits waren es auch finanzielle Belange, die im Auge behalten werden mussten. Tantiemenfragen und Devisenprobleme (bei der Abfindung ausländischer Komponisten) taten ihr Übriges. Staatskommissar Hans Hinkel, zuständig für die Kontrolle sämtlicher Kulturbundaktivitäten im Reich, strich ihm unliebsame Komponisten nicht selten einfach vom Programm. Das sukzessive Verbot deutscher bzw. „arischer“ Komponisten führte zu einer allmählichen Veränderung der Programmstruktur, was aber auch bewirkte, dass Frankfurter jüdische Komponisten wie Max Kowalski oder Rosy Geiger-Kullmann verstärkt Chancen für Aufführungen ihrer Werke erhielten.

 

Im Mai 1936 gab Steinberg sein letztes Konzert als Dirigent des Kulturbundorchesters in Frankfurt. Parallel zu einem Engagement als Dirigent des Berliner Kulturbundorchesters verstärkte er nun seine Aktivitäten in Palästina; er war bereits seit 1934 von Bronislaw Huberman maßgeblich am Aufbau des Palestine Orchestra beteiligt worden und sollte in dessen Eröffnungssaison mehrere Konzerte leiten. Auch aus dem Frankfurter Kulturbundorchester warb Steinberg Musiker für das Palestine Orchestra an: Erich (Uri) Toeplitz (Flöte), Heinrich Zimmermann (Klarinette), Ernst Böhm (Kontrabass), Ary Schuyer (1933 entlassener langjähriger Solocellist am Frankfurter Opernhaus), Rudolf Bergmann (Violine), Richard Otterpohl (Tuba und Kontrabass) und Dora Loeb (Viola und Violine). Ernst Drucker und Theodor Ratner (Violine) lehnten nach anfänglicher Zusage ein Engagement in Palästina schließlich doch ab; beide wanderten in die USA aus. Da man ihr keine ganze Stelle im Palestine Orchestra geben wollte, kehrte Dora Loeb 1937 tragischerweise wieder ins Frankfurter Kulturbundorchester zurück. Sie wurde 1941 aus Köln nach Riga deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Hans Bassermann (Violine) ging schließlich in der zweiten Saison 1937/38 nach Palästina.

 

Mit der Saison 1936/37 wurde das Orchester des Jüdischen Kulturbunds Rhein-Main zum „Reiseorchester“ für alle Kulturbünde umfunktioniert, um den Jüdischen Kulturbund Rhein-Main finanziell zu entlasten. Es war dabei nicht nur an Auftritte in den großen Städten, sondern auch in kleineren Orten gedacht. Neuer Dirigent wurde Julius Prüwer, hin und wieder vertreten durch Richard Karp, den Stimmführer der Bratschen. Das neue Finanzierungskonzept ging jedoch nicht auf. Die Reise- und Unterbringungskosten konnten auf Dauer nicht gedeckt werden. Am 7. April 1938 fand unter Leitung von Prüwer das letzte Konzert des Orchesters in Frankfurt statt. Auf dem Programm standen Werke von Kowalski, Meyerbeer, Tschaikowsky und Laló.

 

 

 

Literatur und Quellen::

Eike Geisel/Henryk M. Broder, Premiere und Pogrom. Der jüdische Kulturbund 1933- 1941, Texte und Bilder, Berlin 1992.

Eva Hanau, Musikinstitutionen in Frankfurt am Main 1933 bis 1939, Köln 1994.

Barbara von der Lühe, „Musik war unsere Rettung!“ Die deutschsprachigen Gründungsmitglieder des Palestine Orchestra, Tübungen 1998.

Stephan Stompor, Jüdisches Musik- und Theaterleben unter dem NS-Staat, Hannover 2001.

Uri Toeplitz, Und Worte reichen nicht. Von der Mathematik in Deutschland zur Musik in Israel – eine deutsch-jüdische Familiengeschichte 1812-1998, Konstanz 1999.

Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt (ab 1937 Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt am Main)

Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes Bezirk Rhein-Main, Frankfurt am Main

Unter dem Dach des 1933 gegründeten Kulturbundes Deutscher Juden wurde in Berlin und Frankfurt jeweils ein Symphonieorchester eingerichtet, um wegen der NS-Verfolgung arbeitslos gewordenen Musikern eine Perspektive zu bieten. Die Konzerte durften auf Befehl des NS-Regimes nur von Juden besucht werden. Das erste Konzert in Frankfurt fand 1934 statt. In der Folge musste das Programm immer mehr auf „nichtarische“ Komponisten beschränkt werden. Raum-, Besetzungs- und finanzielle Probleme begleiteten die Arbeit bis zum Frühjahr 1938, als das letzte Konzert des Frankfurter Orchesters aufgeführt wurde.



Autor/in: Kathrin Massar
erstellt am 01.01.2009
 

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