Die Gleichschaltung der Kammern und die Auflösung der Anwaltsvereine 1933

Parallel zu den Boykottaufrufen gegen Juden wurden auch bereits Ende März 1933 Maßnahmen zur „Gleichschaltung“ der anwaltlichen Standesorganisationen ergriffen, die am 27.12.1933 in die Selbstauflösung des seit 1871 bestehenden Deutschen Anwaltsvereins mündete.

 

Parallel zu den Boykottaufrufen gegen Juden, die in der Ausschaltung möglichst vieler jüdischer Anwälte und Richter mündeten, wurden auch bereits Ende März 1933 Maßnahmen zur „Gleichschaltung“ der anwaltlichen Standesorganisationen ergriffen. Die Rechtsanwaltskammer Frankfurt wurde 1933 – wie die anderen Berufsverbände – dem Führerprinzip unterworfen. Bereits am 31. März/1. April 1933 (also vor dem Erlaß des Gesetzes betreffend die Zulassung zur Anwaltschaft) wurde durch Verfügung des kommissarischen Justizministers Kerrl auf die „Säuberung“ der Kammervorstände von jüdischen Mitgliedern bzw. den Gesamtrücktritt der Vorstände hingewirkt.

 

Der Frankfurter Kammervorstand umfasste seit 1931 15 Mitglieder, von denen am 31. März bzw. 1. April 1933 elf zurücktraten. Am 4. April 1933 notierte der Oberlandesgerichts-Präsident dann, dass sämtliche Mitglieder zurückgetreten seien und Rechtsanwalt Eduard Weber mit der vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der Rechtsanwaltskammer beauftragt worden war. Der so bestimmte Kommissar nahm – bis zur „Neuwahl“, die allerdings eine Farce war – alle Obliegenheiten des zurückgetretenen Kammervorstands wahr. Was die sogenannten Neuwahlen betrifft, so besagte eine Verfügung Kerrls vom 11. April 1933 ganz klar: „Die deutsche Rechtsanwaltschaft ist dazu berufen, zu ihrem Teil an der Erfüllung der großen Aufgaben mitzuwirken, die im neuen Staat der Justiz und der Rechtspflege bestellt sind.“ Und weiter heißt es hier, daß es im Sinn eines engen Zusammenarbeitens erforderlich sei, „daß der auf allen Gebieten im heutigen Staatsleben herrschende Grundsatz der Gleichschaltung auch im Verhältnis zwischen der Justizverwaltung und der Berufsvertretung der Rechtsanwaltschaft hergestellt (…) wird.“ (HHStAW Abt. 458, Nr. 970)

 

Für den 22. April 1933 wurde eine Kammerversammlung anberaumt, deren Tagesordnung bereits auswies, dass Neuwahlen „ohne Aussprache in einem Wahlgang durch Zuruf mit absoluter Stimmenmehrheit“ erfolgen sollten, und zwar in öffentlicher Sitzung. Der Kommissar wurde angewiesen, im Einvernehmen mit dem Gaurechtsstellenleiter der NSDAP oder Vorsitzenden der Gaugruppe des "Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" (BNSDJ) einen Vorschlag vorzubereiten. In der außerordentlichen Kammerversammlung vom 22. April 1933, an welcher 102 Mitglieder teilnahmen, wurden einstimmig gewählt: Eduard Weber, Maximilian Leuchs-Mack, Ernst de la Fontaine, Hans Wilhelmi, Friedrich Lindheimer, Hugo Reichard, Hermann Rumpf, Max Ernst Cuntz, Otto Ebenau, Karl-Ernst Möhring, Hans Oppermann, Fritz Kullmann, Ferdinand Becker, Ernst Sayn. Fünf von ihnen hatten bereits dem gewählten Kammervorstand der Zeit vor 1933 angehört. Neun von ihnen gehörten (jedenfalls nach dem Mitgliederverzeichnis des NS-Rechtswahrerbundes 1937) der NSDAP an; nur vier waren keine Parteimitglieder, unter ihnen Hans Wilhelmi.

 

Das Gesetz über die Vorstände der Anwaltskammern vom 6. Januar 1934 brachte eine Aussetzung der Vorstandswahlen, die später bis zum 31. März 1936 verlängert wurde. Durch die neue Reichs-Rechtsanwaltsordnung von 1936 wurde die Reichsrechtsanwaltskammer (RRAK) im Sinne der Zentralisierung und Gleichschaltung zur einzigen rechtsfähigen Vertretung aller bei Gerichten des Deutschen Reiches zugelassenen Rechtsanwälte; die örtlichen Anwaltskammern verloren ihre Rechtspersönlichkeit. Als „Kammern“ wurden nun die bisherigen Kammervorstände bezeichnet. Die Vorsitzenden waren nur mehr weisungsgebundene Organe der RRAK; sie wurden durch den Reichsjustizminister unter Mitwirkung des Reichsführers des BNSDJ (NS-Rechtswahrerbund) berufen.

 

Im Zuge der Gleichschaltung wurden der 1871 gegründete Deutsche Anwaltsverein (DAV) und die regionalen Anwaltsvereine liquidiert. Auf dem Juristentag vom 30. September 1933 beschloß der DAV die Umbenennung in „Fachgruppe Rechtsanwälte im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ und die Ausschließung „nichtarischer“ Rechtsanwälte; am 27. Dezember 1933 wurde dann „ohne jeden Widerspruch die Auflösung zwecks Eingliederung in die Reichsfachgruppe Rechtsanwälte des BNSDJ“ sanktioniert – so stellte Rechtsanwalt Walter Raeke (Reichfachgruppenleiter und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht) mit Befriedigung fest, wobei er es als „eine der Hauptaufgaben der neuen deutschen Anwaltschaft“ bezeichnete, den Berufsstand „(…) aus der Entfremdung gegenüber der breiten Masse des deutschen Volkes, die in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Einfluß fremdrassiger Elemente immer größer geworden war, durch schonungslose Ausmerzung aller Reste liberalistischen Krämergeistes herauszuführen“ (Raeke in: Juristische Wochenschrift 1934, S. 2). Vorbereitet worden war dies durch Anordnungen des Reichsjuristenführers und Reichsjustizkommissars Hans Frank. Von der erzwungenen Selbstauflösung war auch der seit 1888/89 bestehende „Anwaltsverein zu Frankfurt a.M.“ betroffen, der durch Beschluß der Mitgliederversammlung vom 18. Dezember 1933 liquidiert wurde.

 

Literatur

 

Vollständiger Text in: Barbara Dölemeyer, „Die Frankfurter Anwaltschaft zwischen 1933 und 1945“ in: Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 bis 1998, hg. v. der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main, Wiesbaden 1998, S. 59–129. Als pdf-Datei (8 MB) unter folgender Adresse abrufbar: www.rechtsanwaltskammer-ffm.de/raka/archiv/festschrift

Walter Raeke, „Rückblick und Ausblick (Zur Auflösung des Deutschen Anwaltsvereins)“ in: Juristische Wochenschrift 1934, S. 2

Parallel zu den Boykottaufrufen gegen Juden wurden auch bereits Ende März 1933 Maßnahmen zur „Gleichschaltung“ der anwaltlichen Standesorganisationen ergriffen, die am 27.12.1933 in die Selbstauflösung des seit 1871 bestehenden Deutschen Anwaltsvereins mündete.



Autor/in: Barbara Dölemeyer
erstellt am 01.01.2003
 
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