Das Forschungsinstitut für Kulturmorphologie

Die Ethnologin Dr. Karin Hissink (1907-1981) verwaltete das Institut während der Kriegsjahre.

Das Senckenbergische Hospital in der Stiftstraße, ca. 1935. Hier waren seit 1937 das Forschungsinstitut, das Afrika-Archiv, die Verwaltung und Bibliothek des Völkermuseums und die„Vorgeschichtliche Bildergalerie“ untergebracht.

Das von Leo Frobenius gegründete Institut für Kulturmorphologie wurde 1924 von der Stadt und der Stiftungsuniversität aus München nach Frankfurt geholt, um das Spektrum moderner Wissenschaft zu verbreitern. Später wurden unter seiner Leitung die völkerkundlichen Einrichtungen der Stadt konzentriert. Die Förderung hörte mit der NS-Zeit nicht auf, auch wenn die wissenschaftliche Ausrichtung auf einen nichtbiologischen Kulturbegriff der NS-Rassenideologie widersprach.

 

1893 begann Leo Frobenius (1873-1938) in Berlin, ein Archiv von Exzerpten aus Afrikaliteratur anzulegen, gegliedert nach ethnographischen und ethnologischen Motiven – eine Sammlung, die einmal 90.000 Karteikarten umfassen würde. Hinzu kamen Abbildungen und Bücher sowie Fragebögen, die sich Frobenius von Afrikanern beantworten ließ. 1898 gründete er aus dieser Sammlung das Afrika-Archiv als private Stiftung. Im selben Jahr veröffentlichte er das Werk „Der Ursprung der afrikanischen Kulturen“, in dem er auf Basis seiner gesammelten Daten eine Theorie der Kultur als einem lebendigen Organismus entwickelte und so die kulturmorphologische Richtung in der Ethnologie initiierte. Zur Beschaffung von eigenem Material gründete Frobenius 1904 die „Deutsche Innerafrikanische Forschungs-Expedition“ (DIAFE), die bis 1915 sieben Reisen unternahm, deren Ergebnisse Frobenius in verschiedenen Werken publizierte.

1918 gab es Pläne, unter der Bayrischen Akademie der Wissenschaften ein „Deutsches Forschungsinstitut für Völkerkunde“ in München einzurichten. Frobenius, der sich daran beteiligen wollte, wechselte mitsamt dem Afrika-Archiv von Berlin nach München und kam im Knabenbau des Nymphenburger Schlosses unter. Als das Projekt scheiterte, war er für seine Weiterarbeit auf die Förderung von Oswald Spengler und der durch Spenglers Vermittlung interessierten Verlage C. H. Beck und Eugen Diederichs angewiesen. 1920 gründete Leo Frobenius das „Institut für Kulturmorphologie e.V.“ als zusammenfassende Einrichtung von Afrika-Archiv und DIAFE. Das Gründungskuratorium bestand aus Frobenius, Oswald Spengler und H. L. Held. Zur Koordinierung der Geldgeschäfte diente die „Gesellschaft zur Förderung des Forschungsinstitutes für Kulturmorphologie“. Man begann Privatmittel zu akquirieren. Oswald Spengler war bei rheinisch-westfälischen Großindustriellen erfolgreich: Durch seine Vermittlung interessierten sich Generaldirektor Reusch von der Gutehoffnungshütte, Albert Vögler, Vorsitzender des Direktoriums der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-AG, Krupp und Stinnes, sowie in Bayern Maffey und Rueff für das Institut.

 

Die Stadt Frankfurt kauft das Institut

 

Seit 1921 umfasste Frobenius’ wissenschaftliche Arbeit seine Atlantisreihe zum Thema Volksmärchen und den Atlas Africanus, der kartographischen Auswertung seiner Expeditionsergebnisse. Finanziell war er 1924 ein „armer Schlucker“ (Schivelbusch). So fanden viele die 260.000 RM, die die Stadt Frankfurt 1925 beim Ankauf des Münchner Archivs ausgab, als „maßlos überhöht“. Zusätzlich erhielt Frobenius eine jährliche Aufwandsentschädigung von 6.000 Reichsmark. Die Stadt Frankfurt hatte in den Wirtschaftskrisenjahren auch die Stiftungsuniversität Frankfurt gestützt und daher durch ihre Beteiligung im Kuratorium und im Großen Rat der Universität Einfluss auf universitäre Entscheidungen. So waren es Beamte der Stadt, die gemeinsam mit Universitätsprofessoren Frobenius nach Frankfurt holten. Der Historiker Notker Hammerstein betont, dass das kulturmorphologische Institut entschieden in die bunte Szenerie der Stadt und der Universität der 1920er Jahre gehörte, denn die umstrittenen und aufregenden Thesen Frobenius’ versprachen, die Frankfurter Diskutierlust zu beleben und an der experimentierfreudigen Frankfurter Universität passten die kulturmorphologischen Thesen gut zu den Georgeanern und den Nietzscheanern sowie zur Gestaltpsychologie. Oberbürgermeister Ludwig Landmann, Heinrich Simon, Karl Kotzenberg und Julius Ziehen ergriffen die Initiative und setzten, nicht ohne Widerstand, den Erwerb des Forschungsinstituts für Kulturmorphologie durch. Das Institut wurde der Universität angegliedert, und Frobenius erhielt einen Lehrauftrag für Völker- und Kulturkunde. In das Verwaltungskuratorium des Instituts, das von Karl Kotzenberg geleitet wurde, traten zwei Vertreter der Stadt und interessierte Frankfurter Bürger ein. Das wissenschaftliche Kuratorium besetzten die Professoren Lommel, Otto, Reinhardt und Wilhelm. Finanziert wurde das Institut vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung sowie vom Reichsministerium des Inneren. Untergebracht wurde es im ehemaligen Bundespalais (Palais Thurn und Taxis) in der Großen Eschenheimer Straße 26.

An Institutsarbeit ist vor allem folgende zu erwähnen: Im siebenbändigen Werk „Erlebte Erdteile“ (1925-1929) fasste Frobenius die Ergebnisse seines Schaffens zusammen. Ab 1930 nach der Rückkehr von der Südafrikaexpedition arbeiteten die Institutsmitglieder an einem neuen Archiv, dem Archiv für Folkloristik, das der Mythenforschung diente und einmal 100.000 nach Stichworten gegliederte Karteikarten haben sollte. Der wissenschaftliche Nachlass des „Altmeisters der deutschen Afrikanistik“ (Zerries) Georg Schweinfurth kam ans Institut. Und in den Jahren 1926-1933 fanden die Reisen DIAFE VIII bis XI statt.

 

Konzentration der Frankfurter völkerkundlichen Einrichtungen

 

Mitte der 1930er Jahre kam es zu einer Konzentration der Frankfurter völkerkundlichen Einrichtungen unter der Führung von Mitarbeitern des kulturmorphologischen Instituts. 1933 erhielt Adolf E. Jensen eine Dozentur für Völker- und Kulturkunde an der Frankfurter Universität, galt jedoch lediglich als „Privatdozent älterer Ordnung“ wie das damals gelegentlich genannt wurde, da er die geforderten Arbeitsdienste und Sportlager nicht absolviert hatte. Unter den Nationalsozialisten erreichte er nie die volle akademische Anerkennung, und 1940 wurde ihm die Lehrbefugnis komplett entzogen. 1934 wurde Leo Frobenius Direktor des Völkermuseums der Stadt Frankfurt. Er setzte sich gegen die bisherigen leitenden Beamten Johannes Lehmann (1876-1960) und Ernst Vatter (1888-1948) durch, die aus wissenschaftlichen Gründen und persönlicher Antipathie den Konkurrenten Frobenius ablehnten. Lehmann zweifelte Frobenius’ nationalsozialistische Haltung an, und Vatter bezeichnete Frobenius als einen wissenschaftlichen Scharlatan, der persönlich unlauter sei. Mit Unterstützung vor allem des Oberbürgermeisters Friedrich Krebs konnte sich Frobenius jedoch durchsetzen. Die Institutsmitglieder Jensen und Niggemeyer erhielten als Kustoden ebenfalls zusätzlich Stellen am Museum. Die Bibliotheken von Institut und Museum wurden zusammengelegt. Die Aktivitäten des Instituts waren vielfältig. Karin Hissink reiste 1938 zur Weiterbildung im museumsdidaktischen Bereich und zur Anregung von Buchtauschaktionen mit Bibliotheken in die USA. Die Forschungsgebiete wurden über Afrika hinaus auf europäische Länder, Asien und Australien ausgeweitet. Der steigende Platzbedarf wurde vom „stets verständnisvollen Oberbürgermeister Dr. Krebs“ (Zerries) anerkannt, und er stellte dem Institut das ehemalige Senckenbergische Bürgerhospital in der Stiftstraße 30 zur Verfügung. Hierhin zogen im April 1937 das Forschungsinstitut, das Afrika-Archiv, die Verwaltung und Bibliothek des Völkermuseums, sowie die inzwischen erstellte „Vorgeschichtliche Bildergalerie“. Das Museum blieb im Bundespalais.

1938 feierte Frobenius seinen 65. Geburtstag und gleichzeitig das 40-jährige Jubiläum des Bestehens des Instituts. Bei der groß angelegten Feier erhielt er die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt und reichlich Spenden und Stiftungen für sein Lebenswerk. Diese Gelder übergab er der „Deutschen Gesellschaft für Kulturmorphologie“ und der „Frankfurter Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“. Damit konnten kulturwissenschaftliche Veranstaltungen, sowie die Herausgabe der Zeitschrift „Paideuma“ finanziert werden. Das Verhältnis zwischen NSDAP und Frobenius beleuchtet ein Ausschnitt aus dem Gutachten, mit dem der Reichsleiter der NSDAP Rosenberg seine Absage zur Feier des 65. Geburtstag von Frobenius begründete: „[Ich weiß,] dass das Unverständnis von Frobenius für die Wirklichkeit der rassen-seelischen Erscheinungen und ihrer Bedeutung in der Geschichte ungeheuer gross ist. […] Eine Identifizierung der Partei mit Frobenius ist daher völlig unmöglich. Wenn seine wissenschaftlichen Sammel- und Forschungsergebnisse es wirklich verdienen (darüber habe ich kein Urteil), soll man den fleissigen Gelehrten Frobenius ruhig gebührend anerkennen; der Kulturmorphologe Frobenius kann aber unter keinen Umständen von uns gefeiert, herausgestellt oder unterstützt werden.“

 

Kriegsjahre

 

Frobenius starb im Jahr 1938. Adolf E. Jensen übernahm die Führung des Instituts. Die Leitung des Museums konnte er nur kommissarisch wahrnehmen, da ihm die Berufung zum Beamten auf Widerruf verwehrt wurde. Begründet wurde dies mit seinem zu geringen nationalsozialistischen Engagement wie z.B. fehlender Teilnahme an Lehrgängen, und damit, dass er mit einer „Vierteljüdin“ verheiratet war. Jensen hatte 1927 Erna Marie Plass geheiratet, deren Großvater väterlicherseits vom Judentum zum Christentum konvertiert war. Obwohl die Ehe anscheindend nicht besonders glücklich war, kam es erst nach dem Krieg zur Scheidung.

Der völkerkundliche Kreis um Frobenius und jetzt um Jensen wurde immer wieder von Oberbürgermeister Krebs und hohen Parteistellen wie der Kanzlei des Führers und dem Kolonialpolitischen Amt der NSDAP unterstützt. Diese Personen bzw. die Vertreter dieser Ämter fanden sich auch im Kuratorium des Institutes wieder (Krebs, Wisser, später Asmis, Ritter von Epp, Hederich). Jedoch baute sich eine Front von Gegnern des Frobeniuskreises auf, bestehend aus Heinrich Guthmann, dem Gau-Dozentenbundführer, der für die politischen Überwachung der Hochschulen zuständig war, Gauleiter Jakob Sprenger, Martin Bormann vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie Rudolf Mentzel vom Reichsforschungsrat. Die Wissenschaftler des Frobeniuskreises versuchten, sich den NS-Zielen anzupassen und begannen, die Frankfurter Völkerkunde kolonialpolitisch auszurichten. Dies war jedoch nicht sehr erfolgreich, da wegen ausbleibender Kriegserfolge das Thema Kolonien schon bald kaum noch eine Rolle spielte. Der Versuch Jensens, in einem Brief von 1942 an Dr. Longert vom Amt Wissenschaft des Beauftragten des Führers für die weltanschauliche Erziehung, das Fehlen des Rassegedankens in Frobenius’ Lehre nachträglich mit Unwissenheit zur Jahrhundertwende zu begründen, wirkte wissenschaftlich recht hilflos und den Machtverhältnissen geschuldet.

Die Mitarbeiter des Institutes wurden nach und nach zum Kriegsdienst eingezogen. Karin Hissink führte die Verwaltung des Instituts und des Museums fort. Einige Mitarbeiter konnten sich Ende 1940/Anfang 1941 von der Wehrmacht freistellen lassen, um an einem Handbuch für angewandte Völkerkunde mitzuarbeiten. Jensen gelang es darüber hinaus an Einkaufsreisen und Tagungen teilzunehmen. Die wissenschaftlichen Assistenten des Instituts Ewald Volhard und Adolf Friedrich habilitierten sich 1941 in Berlin und 1943 in Wien. Im März 1944 wurde das Gebäude in der Stiftstraße bis auf den Keller zerstört. Verloren gingen Bücher, die Sammlung von Steinwerkzeugen, Zweitkopien von Felsbildern, Vokabularien, Fragebögen, ein Zeitungsarchiv, das Diapositivarchiv, einige Manuskripte und Arbeitsunterlagen, Unterlagen der Ceram Expedition von 1937 und eine Mythensammlung aus Australien. Das Institut und auch das Museum wurden daraufhin in zwei Räumen des Geographischen Instituts untergebracht, das jedoch im September 1944 ebenfalls zerstört wurde. Die Arbeitsstätte war danach das Privathaus von Karin Hissink in der Myliusstraße 29, ergänzt durch einen Raum des Nachbarhauses.

 

Literatur

 

Sybille Ehl, Ein Afrikaner erobert die Mainmetropole. Leo Frobenius in Frankfurt (1924-1938), in: Thomas Hauschild (Hg.), Lebenslust und Fremdenfurcht. Ethnologie im Dritten Reich, Frankfurt 1995.

Frobenius-Institut, Das Frobenius-Institut an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. 1898–1998, Frankfurt am Main 1998.

Katja Geisenhainer, Frankfurter Völkerkundler während des Nationalsozialismus, in: Jörn Kobes und Jan-Otmar Hesse, Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Göttingen 2008.

Notger Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt a. M. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule. Band I. 1914 bis 1950, Neuwied/Frankfurt am Main 1989.

Björn Schipper, Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Frobenius-Instituts, in: Karl-Heinz Kohl/Editha Platte (Hg.), Gestalter und Gestalten. 100 Jahre Ethnologie in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main/Basel 2006.

Wolfgang Schivelbusch, Intellektuellendämmerung. Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren, Frankfurt am Main 1985.

Hans Voges, Frankfurter Völkerkunde im Nationalsozialismus, 193 –1945, in: Museum der Weltkulturen – Ansichtssachen. Ein Lesebuch zu Museum und Ethnologie in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2004.

Otto Zerries, Geschichte des Frobenius-Institutes, in: Peideuma. Mitteilungen zur Kulturkunde, Band 4, 1950, S. 363-376.

www.frobenius-institut.de

Das von Leo Frobenius gegründete Institut für Kulturmorphologie wurde 1924 von der Stadt und der Stiftungsuniversität aus München nach Frankfurt geholt, um das Spektrum moderner Wissenschaft zu verbreitern. Später wurden unter seiner Leitung die völkerkundlichen Einrichtungen der Stadt konzentriert. Die Förderung hörte mit der NS-Zeit nicht auf, auch wenn die wissenschaftliche Ausrichtung auf einen nichtbiologischen Kulturbegriff der NS-Rassenideologie widersprach.



Autor/in: Edgar Bönisch
erstellt am 01.01.2009
 

Verwandte Personen

Frobenius, Leo


Jensen, Adolf

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