Die „Groß-Frankfurt“-Betriebe hinter dem Eschenheimer Turm: Varieté in den 20er und 30er Jahren

 

Die „Groß-Frankfurt“-Betriebe hinter dem Eschenheimer Turm waren über fast drei Jahrzehnte ein Brennpunkt des Frankfurter Nachtlebens. Wie ein Programmheft aus dem Jahr 1934 verrät, wollte sich nun auch das Varieté „Groß-Frankfurt“ bemühen, das Seinige zum „kulturellen Neuaufbau“ beizutragen.

 

Die „Groß-Frankfurt“-Betriebe hinter dem Eschenheimer Turm waren ein Brennpunkt des Frankfurter Nachtlebens seit ihrer Eröffnung während des Ersten Weltkrieges. In dem Komplex wechselten je nach Konjunktur und Zeitgeist die Unterhaltungsangebote, alpin dekorierter Bierkeller und eleganter Nachtklub, Varieté und Kabarett, Bar und Tanzcafé, auch das Neue Operettentheater war bis zu seiner Schließung 1928 in dem Bau beheimatet, danach zog in seine Räumlichkeiten der UFA-Palast, mit seinen 1.300 Plätzen das Premierenkino am Platz.

„Groß-Frankfurt“, der Name war metropolitanes Programm, hier sollte großstädtische Unterhaltungskultur zelebriert werden. In den Jahren der Weimarer Republik traten so auf der Bühne des Kabaretts „Weinklause“, später als „Künstlerklause“ (und dazwischen als „Tanzklause“, als die Lokalität, wie der Name bereits andeutet, eher dem Tanz verpflichtet war), die großen Namen der Berliner Kleinkunstszene auf, Blandine Ebinger etwa, und die skandalträchtige Tänzerin Anita Berber (ihr Programm hieß „Morphium“), und vor allem immer wieder Claire Waldoff, die ein treues Frankfurter Stammpublikum besaß.

Trotz seiner Wandlungsfähigkeit entkam „Groß-Frankfurt“ nicht den Unbillen der Konjunktur, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1932 schloss man zeitweise, danach ging das Haus, bald auch unter dem Namen „Scala“ firmierend, noch einmal einer goldenen Zeit entgegen. Die "Scala" gehört wie auch das Schumanntheater zu den zentralen Erinnerungsorten der Frankfurter Jahrgänge, die hier vor dem Krieg in den vielfach durchaus positiv besetzten „Aufbaujahren“ des Regimes ihre Verabredungen trafen, tanzten und sich bunte Revuen ansahen. Bis auch das Gebäude von „Groß-Frankfurt“ im Bombenkrieg unterging. Dass das Nachtleben etwas ganz und gar harmlos-unpolitisches sei, wird man allerdings nicht sagen können; schwarze Jazzmusiker wie sie Ende der zwanziger Jahre die Frankfurter Tänzer und Tänzerinnen begeistert hatten, kamen nun nicht mehr an den Main. Und jüdische Varietéartisten gab es plötzlich auch nicht mehr.

Vermutlich in der Befürchtung, dass der Kleinkunst weiterhin etwas Kosmopolitisches, oder gar Flatterhaftes anhaften könne, was nicht in die neue Zeit passte, und den neuen Machthabern möglicherweise nicht gefiel, schrieb der Conferencier des Varietés „Bier-Palais“ zur „Saisoneröffnung“ im September 1934 eine Art Besinnungsaufsatz in das Programmheft. Das „Wahre, Schöne und Gute im deutschen Varieté“ sei nun wertbeständig und gefestigt, versicherte er, und die „Jetztzeit“ habe ihre grundlegende Einstellung gegenüber der heiteren Varietémuse nicht geändert. „Auch sie anerkennt die Unentbehrlichkeit der echten Freude, die sie anstrebt und übermittelt. Was sich geändert hat, ist nur der deutlichere Ruf nach Gediegenheit und Schlichtheit.“ Das Varieté erschien ihm nun vorrangig als nationale Leistungsschau bedeutsam, und auch auf diesem Feld galt es, die anderen Nationen zu übertrumpfen. Leistungsmäßig, hieß es da, sei der deutsche Varietékünstler der eigentliche Träger der internationalen Kleinstkunst. Der „deutsche“ Varietékünstler, gesperrt gedruckt, offenbare sich der Gemeinde seiner Anhänger unter seiner „deutschen“ Tüchtigkeit, seiner „deutschen“ Unübertrefflichkeit. Dass, was den Reiz solcher Kleinkunstbühnen als Sehnsuchtsorte der Moderne eigentlich ausgemacht hatte, die Präsentation von Großstadtkultur, die Vermittlung von Moden, gar erotische Anklänge oder anarchisch-subversive Komik, musste nun unter den veränderten politischen Umständen als suspekt und potentiell bedrohlich erscheinen. Der „Primitivitätskult“ sei nicht mehr, wiegelte der Conferencier des "Bier-Palais" ab, das „Fremdländische, ohnedies meistens nur in der gefallsüchtigen Namensgebung vorgetäuscht“ werde nun abgelehnt. Ebenso wie der Kitsch, der gute Geschmack habe gesiegt. Man mag es kaum glaubten, aber ausgerechnet die Nationalsozialisten führten nach der Machtergreifung ja auch einen Kampf gegen „Kitsch“ – vor allem „jüdischen“, wozu für sie etwa die Anfang der dreißiger Jahre – gerade auch in Frankfurt! – ungeheuer populäre Revueoperette „Das weiße Rößl“ gehörte.
An dem Ziel der Anbiederung an die neuen Machthaber ließ das Programmheft jedenfalls keinen Zweifel: „Das Kabarett, die Kleinkunst des ‚Bier-Palais‘ von ‚Groß-Frankfurt‘ darf, soll und wird nicht abseits stehen beim kulturellen Neuaufbau unserer Zeit.“

Und so, mit einem sozusagen höheren Auftrag versehen, durfte der „werktätige Mensch, namentlich in der Großstadt“ sich endlich bei Equillibristen, Tänzerinnen, Dienstmannsketchen und Zauberern „geschmackvolle, heitere Ablenkung“ suchen. Etwa im Winter 1937, als das Programmheft sogar forderte: „Jeder Frankfurter im Dezember einmal ins ‚Varieté für Jedermann‘!“ Schließlich lockte die Musik der Swings, die trotz des Namens deutsch waren. Ihr Programm umfasste den „neuesten Rhythmus des Swing“ aus England, aber auch Donauwalzer und „rassige“ Pußtaklänge, zuletzt gab man „den zackigen Schlußmarsch als Ausdruck unseres deutschen Vaterlandes“. Kein Wunder, dass die Gruppe bei Engagements im Ausland „die beste und eindruckvollste Propaganda für unsere deutsche Musik und unser deutsches Vaterland“ gemacht hatten.

Internationale Künstler traten aufgrund der Devisenproblematik – das Geld wurde schließlich für die Aufrüstung gebraucht – nach 1933 nur noch selten auf Frankfurter Bühnen auf. Die Sehnsucht nach ein bisschen Exotik und Internationalität musste sich an die anglisierten Künstlernamen halten, die ein wenig so taten, als kämen sie aus der großen weiten Welt. Ein Bezug, der allerdings im Anschluss gleich geerdet werden musste in der deutschen Scholle. Zu international, zu weltläufig, diese Betonung war auch wieder riskant. Am Besten, man ergab sich einfach dem totalen Humor beim Scala „Lachschlager-Programm“: „Es wird ein noch nie dagewesenes Rekordlachen!!!!“

In der Saison 1938/39 kam es im Turmgrill im ersten Stock zum „Stelldichein der Feinschmecker“ (noch ohne Lebensmittelkarten …), der Eremitage-Pavillon empfahl sich als „die führende stimmungsvolle Tanz-Bar“ und im Scala-Varieté durfte an den Tischen geraucht werden. Bald darauf konnte man anhand der Nationalitäten der engagierten Künstler den Vormarsch der deutschen Truppen durch Europa, sowie die Verbündetenpolitik der Achsenmächte nachverfolgen.

 

Literatur

 

Oliver M. Piecha, Roaring Frankfurt. Mit Siegfried Kracauer ins Schumanntheater, Frankfurt am Main 2005.

Die „Groß-Frankfurt“-Betriebe hinter dem Eschenheimer Turm waren über fast drei Jahrzehnte ein Brennpunkt des Frankfurter Nachtlebens. Wie ein Programmheft aus dem Jahr 1934 verrät, wollte sich nun auch das Varieté „Groß-Frankfurt“ bemühen, das Seinige zum „kulturellen Neuaufbau“ beizutragen.



Autor/in: Oliver Piëcha
erstellt am 01.01.2010
 
Top