Für die Konzeption eines Prozesses zu den Verbrechen in Auschwitz ging es Fritz Bauer nicht nur um die Verurteilung der Angeklagten, sondern ganz wesentlich um eine Wirkung auf die deutsche Gesellschaft. Deshalb sollten insbesondere die Überlebenden von Auschwitz gehört werden. Fritz Bauer wollte mit allen Mitteln darauf hinwirken, dass eine öffentliche Reflektion darüber einsetzte, wie Auschwitz möglich geworden war.
Fritz Bauer als Initiator des Auschwitz-Prozesses knüpfte weitreichende Erwartungen an die Wirkung des Prozesses für die Gegenwart und Zukunft der deutschen Gesellschaft. Ihm ging es nicht nur um die Verurteilung der einzelnen Täter, sondern vor allem darum, der Öffentlichkeit Auschwitz ins Bewusstsein zu rufen, die Opfer von Auschwitz durch die Stimmen der Überlebenden zu Wort kommen zu lassen. Er wollte mit allen Mitteln darauf hinwirken, dass eine öffentliche Reflektion darüber einsetzte, wie Auschwitz möglich geworden war. Sein politisches Ziel war dabei, ein neues Auschwitz zu verhindern.
Fritz Bauers Grundidee war, den Gesamtkomplex Auschwitz vor Gericht zu bringen und so zu verhindern, dass die Anklagen gegen einzelne Täter auf zahlreiche Einzelverfahren verteilt wurden. Es war ihm wichtig, Gesamtzusammenhänge des Menschheitsverbrechens in Auschwitz im Gerichtssaal deutlich werden zu lassen. Wichtigstes Anliegen war ihm jedoch die Aufklärung der deutschen Gesellschaft, da seiner Meinung nach, ein neues demokratisches und zukunftsfähiges Deutschland nur dann aufgebaut werden konnte, wenn man von den deutschen NS-Massenverbrechen Kenntnis hatte. Fritz Bauer strebte durch den Auschwitz-Prozess "eine Dokumentation in historischer, praktischer und moralischer Hinsicht" an. Das Schicksal der in Auschwitz ermordeten Juden war ihm "der eigentliche Verhandlungsgrund". Er wollte über den Umweg des Gerichtssaales der Gesellschaft historisches Grundwissen zur NS-Vernichtungspolitik vermitteln. So schwebte ihm beispielsweise vor, Dokumente nicht nur verlesen zu lassen, sondern auf großen Leinwänden im Gerichtssaal zu zeigen, damit sie von jedermann gesehen und gelesen werden konnten.
Im Mai 1961 nahm Fritz Bauer mit der historischen Forschungseinrichtung "Institut für Zeitgeschichte" in München Kontakt auf und regte dort an, Gutachten - lebendig für ein breites Publikum geschrieben - zu erarbeiten, die die Historiker als Sachverständige in die Anfangsphase des Prozesses einbringen sollten, damit die einzelnen Tatvorwürfe im Gesamtzusammenhang von den Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit verstanden werden könnten. Als Themen dieser Gutachten waren vorgesehen:
die nationalsozialistische Politik gegen Juden und Polen
die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen
der Aufbau von SS und Polizei
die Entwicklung der Konzentrationslager
Befehl und Gehorsam - zur Frage des Befehlsnotstands
In den folgenden Jahren stellten namhafte Wissenschaftler ihre bisherigen Forschungsergebnisse zusammen und konnten dann ihre Kenntnisse im Prozess vortragen. Die Gutachten wurden 1965 unter dem Titel Anatomie des SS-Staates veröffentlicht, ein Buch, das hohe Auflagen erlebte und noch heute zu den Standardwerken der Grundlagenforschung über den NS-Staat gehört.
Für den Prozess selbst war es Fritz Bauer sehr wichtig, möglichst viele Auschwitz-Überlebende vor Gericht zu hören. Er hoffte, dass die Aussagen dieser Menschen bei der breiten Öffentlichkeit zu einer Kenntnis über Auschwitz, aber auch zum Mitgefühl mit den dort verfolgten, gedemütigten und gequälten Menschen führen würde. Andererseits hatte er auch die Hoffnung, dass die Angeklagten Reue und Einsicht zeigen könnten. Doch ein Jahr nach Prozessbeginn musste er dazu resigniert feststellen: "Als wir den Prozess konzeptioniert haben, [hatten wir] eigentlich die Vorstellung, daß früher oder später einer von den Angeklagten auftreten würde und sagen würde: ,Herr Zeuge, Frau Zeuge, was damals geschehen ist, war furchtbar, es tut mir leid.' ... Die Welt würde aufatmen und die gesamte Welt und die Hinterbliebenen derer, die in Auschwitz gefallen sind, und die Luft würde gereinigt werden, wenn endlich einmal ein menschliches Wort fiele. Es ist nicht gefallen und es wird auch nicht fallen."
Vor Beginn des Auschwitz-Prozesses wurde die 14-teilige Fernsehdokumentation das Dritte Reich wiederholt. Sie war die erste umfassende Darstellung der NS-Zeit, die allerdings nicht die Mitverantwortung der deutschen Gesellschaft thematisierte. Erstmals war diese Dokumentation parallel zum Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 gezeigt worden. 15 Millionen Zuschauer sahen damals zu.
Leicht gekürzter Text aus: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963-1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S.14
Für die Konzeption eines Prozesses zu den Verbrechen in Auschwitz ging es Fritz Bauer nicht nur um die Verurteilung der Angeklagten, sondern ganz wesentlich um eine Wirkung auf die deutsche Gesellschaft. Deshalb sollten insbesondere die Überlebenden von Auschwitz gehört werden. Fritz Bauer wollte mit allen Mitteln darauf hinwirken, dass eine öffentliche Reflektion darüber einsetzte, wie Auschwitz möglich geworden war.