Die Deportation der Juden aus Frankfurt in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten begann am 19. Oktober 1941 mit einer unangekündigten Aktion. Die betroffenen Juden wurden aus ihren Wohnungen geholt, ihres ganzen Besitzes beraubt, in den Keller der Großmarkthalle getrieben, dort kontrolliert und schikaniert und schließlich mit der Bahn abtransportiert. Bei den weiteren fünf Deportationen bis zum Frühjahr 1942 musste dann die Jüdische Gemeinde bei der Organisation der Verschleppungen helfen. Von den in dieser Zeit etwa 6.000 Deportierten haben nur 13 die Befreiung 1945 erlebt.
Am 19. Oktober 1941, morgens zwischen 6:00 und 7:00 Uhr verschafften sich als Hilfspolizisten eingesetzte bewaffnete SA-Männer ohne Vorwarnung Zutritt zu Wohnungen jüdischer Menschen im Westend, um mehr als 1.100 von ihnen zur Deportation in das Ghetto Lodz abzuholen. Da die Gestapo in den Wochen zuvor von der Jüdischen Gemeinde eine Liste ihrer Mitglieder angefordert hatte, gab es in der Gemeinde ahnungsvolle Mutmaßungen, die die Gestapo aber noch am Tag zuvor, einem Schabbat, von den Rabbinern öffentlich hatte dementieren lassen. Die erste große Deportation traf die jüdischen Bewohner des Westends, weil der Gauleiter die häufig gut ausgestatteten Wohnungen in begehrter Lage für seine NS-Leute freigeräumt haben wollte. Die SA-Leute präsentierten den Betroffenen die polizeiliche Deportationsverfügung (siehe unten unter Dokumente zu diesem Artikel) und zwangen sie unter ständiger Aufsicht, innerhalb von zwei Stunden eine Inventarliste und eine Vermögenserklärung aufzustellen, ein Pappschild mit den Personendaten anzufertigen und sich um den Hals zu hängen, schließlich die wenigen erlaubten Habseligkeiten in einen Koffer und einen Rucksack zu packen. Dann mussten sie auf die amtliche Beschlagnahme all ihres Besitzes und die Versiegelung ihrer Wohnung warten, um danach unter Aufsicht der SA-Leute zur Sammelstelle in der Großmarkthalle zu marschieren.
Die Augenzeugin Lina Katz schildert das Weitere (zitiert aus Dokumente, S. 508): „Ich habe den Zug zur Großmarkthalle durch die Stadt begleitet, versucht, die Straßenbahn zu benutzen, aus der ich wegen meines Judensterns herausgeworfen wurde. Der Zug ging durch die Stadt am hellen Tage. Rechts und links standen die Menschen und sahen sich stumm im dichten Spalier den Zug an. In die Großmarkthalle konnte ich nicht hinein. Dort übernahmen SS-Leute den Zug, der bis dahin von der SA eskortiert wurde. Nach dem Bericht des Friedhofsverwalters Fiebermann, der aus irgendeinem Grund in die Großmarkthalle bestellt war und zurückkehrte, soll es dort in der Nacht schrecklich zugegangen sein mit Mißhandlungen usw. Am anderen Tag erfolgte die Verladung. Die SA-Leute sagten, der Zug käme nach Litzmannstadt [Lodz] in ein sehr geordnetes, schönes Ghetto.“
Die Organisation dieser ersten großen Deportation hatte durchaus chaotische Züge, wie aus dem Bericht eines SA-Verantwortlichen hervorgeht (siehe unten unter Dokumente zu diesem Artikel): Viele mussten lange warten, bis die zuständigen Beamten die Wohnung versiegelten, und die Durchschleusung der Menschen durch die vier Kontrollstellen im Keller der Großmarkthalle dauerte viel länger als vorgesehen. Transportiert wurden die Menschen nach Lodz in Waggons 3. Klasse.
Ein Teil überlebte dort den Winter nicht, im Frühjahr und Herbst 1942 wurden die nicht arbeitsfähigen Menschen in einem Vernichtungslager getötet. Nur drei der im Oktober 1941 deportierten Frankfurter erlebten 1945 die Befreiung.
Bei den nächsten Deportationen bemühte sich das NS-Regime um eine aus seiner Sicht effektivere Organisation. Einerseits wurde bei der Auswahl der Betroffenen mehr Rücksicht auf die Interessen der Rüstungsindustrie genommen, die Juden als Zwangsarbeiter beschäftigte, andererseits wurde die Jüdische Gemeinde in die Organisation einbezogen: Die Gestapo teilte ihr im Vorfeld die Zahl der zu Deportierenden und Kriterien der Auswahl mit, und die Gemeindeverwaltung musste nun die Menschen auswählen und ihnen die Deportation drei Tage zuvor ankündigen (siehe unten unter Dokumente zu diesem Artikel). Die zweite Deportation von mehr als 1.000 Menschen fand am 11. November 1941 statt und ging ins Ghetto Minsk (Weißrussland), die dritte von fast 1.000 Menschen am 22. November 1941 nach Kaunas (Litauen). Die zweite Deportation überlebten bis zur Befreiung zehn Menschen, die dritte niemand.
Nach diesen drei Deportationen gab es eine Pause bis zum nächsten Frühjahr. Die vierte und fünfte Deportation führten die NS-Behörden am 8. und 24. Mai 1942 aus. Sie betrafen jeweils mehr als 900 Menschen unter 65 Jahren, darunter besonders viele Heimkinder (was der städtischen Fürsorge weitere Kosten ersparen sollte). Unterwegs, in Lublin, wurden die arbeitsfähigen Männer gewaltsam von ihren Familien getrennt und in einen anderen Zug getrieben, der sie ins KZ Majdanek führte; Frauen und Kinder kamen zunächst ins Ghetto Izbica (Polen). Eine weitere, sechste Deportation mit den gleichen Zielen erfolgte am 11. Juni 1942 und erfasste außer fast 600 Frankfurter Juden auch mehr als 500 aus Wiesbaden und den umliegenden Landkreisen. Von den im Frühjahr 1942 Deportierten überlebte niemand.
Literatur::
Monica Kingreen, Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der Juden in den Jahren 1941–1945, in: dies., (Hg.), „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945 (Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 17,) Frankfurt am Main 1999, S. 357–402
Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945, hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt am Main 1963, S. 507–533
„Unser einziger Weg ist Arbeit“. Das Getto in Lodz 1940–1944, eine Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Wien 1990
Jüdisches Museum Frankfurt am Main (Hg.), „Und keiner hat für uns Kaddisch gesagt …“ Deportationen aus Frankfurt am Main 1941 bis 1945, Frankfurt am Main 2004.
Die Deportation der Juden aus Frankfurt in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten begann am 19. Oktober 1941 mit einer unangekündigten Aktion. Die betroffenen Juden wurden aus ihren Wohnungen geholt, ihres ganzen Besitzes beraubt, in den Keller der Großmarkthalle getrieben, dort kontrolliert und schikaniert und schließlich mit der Bahn abtransportiert. Bei den weiteren fünf Deportationen bis zum Frühjahr 1942 musste dann die Jüdische Gemeinde bei der Organisation der Verschleppungen helfen. Von den in dieser Zeit etwa 6.000 Deportierten haben nur 13 die Befreiung 1945 erlebt.