Wie ambivalent die Nationalsozialisten mit konformen Künstlern umgingen, wenn diese unerwünschte Themen behandelten, veranschaulicht ihr Umgang mit dem Bildhauer Richard Scheibe.
Die Nationalsozialisten lehnten die Werke der vielfältigen künstlerischen Strömungen der Moderne ab. Sie diffamierten sie als „Verfallskunst“, „undeutsch“ und „entartete Kunst“. Die neueren Arbeiten Richard Scheibes dagegen schätzten sie. Scheibes künstlerische Entwicklung seit den 1920er Jahren kam dem nationalsozialistischen Kunstverständnis von vermeintlich realitätsgetreuer, idealisierender, handwerklich perfekter Darstellung entgegen. Der Künstler hatte in seinem bildhauerischen Frühwerk ab 1906 vorrangig expressionistisch beeinflusste Tierplastiken geschaffen. In den 1920er Jahren arbeitete er zunehmend an lebens- und überlebensgroßen Figuren - zunächst bekleidet, später als Akte. Wie bei vielen Künstlerkollegen hatte sich seine Formensprache unter anderem durch die persönlichen Erschütterungen des Ersten Weltkrieges verändert.
Die Nationalsozialisten würdigten seine Arbeiten als „Klassiker des Übergangs“. Um eine spezifisch nationalsozialistische Kunst zu definieren, nahmen die neuen Machthaber von ihnen anerkannte Werke, wie die Richard Scheibes, vermittelnd in Anspruch. Als Beitrag Deutschlands war Scheibe dann auch in den Jahren 1934 und 1936 auf der Biennale in Venedig vertreten.
Trotz der Wertschätzung der Arbeiten Scheibes lehnten die Nationalsozialisten ein wichtiges Beispiel für die neue Formsprache des Künstlers ab. Bereits kurz nach der so genannten Machtergreifung entfernten sie im April 1933 das Friedrich-Ebert-Denkmal aus der Öffentlichkeit, das eine von Scheibes ersten überlebensgroßen Figuren darstellt. Grund hierfür war allein die Widmung des Denkmals an den ersten gewählten Präsidenten der Republik. Sowohl die Person Ebert als auch der Standort des Denkmals, die symbolträchtige Paulskirche, waren als Institutionen der Demokratie mit dem Führerkult der neuen Regierung nicht vereinbar.
Die Gestaltung des Denkmals hingegen gefiel den Verantwortlichen: Der handwerklich perfekt gearbeitete, überlebensgroße, kräftige, männliche Akt war das bevorzugte Skulpturen-Motiv des Dritten Reiches. Die grundsätzliche Anerkennung der Figur führte dazu, dass sie trotz ihrer Entfernung vom Paulsplatz erhalten blieb. Trotz einiger Gemeinsamkeiten unterschied sich die Figur in ihrer Haltung sowie ihrer Oberflächengestaltung noch recht deutlich von der NS-Kunst. Die bewegte, unebene Struktur des Denkmals steht im Gegensatz zu den glatten Oberflächen, die sowohl NS-Künstler als auch Scheibe in seinen späteren Arbeiten einsetzte. Eine solche „glatte“ Figur des Künstlers stellt der „Zehnkämpfer“ dar, dessen Pose und Männerideal gut mit den neuen Idealen vereinbar waren: Die erste Große Deutsche Kunstausstellung in München präsentierte die Skulptur 1937. Hier war sie den Werken der Ausstellung „Entartete Kunst“ vorbildhaft entgegengesetzt.
Der ambivalente Umgang der Nationalsozialisten mit Scheibes Ebert-Denkmal findet sich auch in der Biografie des Künstlers wieder. Der national gesinnte Scheibe, seit 1925 Dozent an der renommierten Städelschule, gehörte zu jenen Lehrern, die im Zuge der Gleichschaltung der Schule 1933 entlassen wurden. Ein Grund wurde ihm nicht genannt, und Scheibe selbst vermutete ein Intrigenspiel des „hiesigen Bildhauervereins“. Vielleicht war auch die Tatsache, dass Scheibe als „moderner“ Künstler an die Schule berufen worden war, ausschlaggebend. Albert Speer, bevorzugter Architekt Adolf Hitlers, erklärte später, Scheibe habe als Schöpfer des Ebert-Denkmals als Liberaler gegolten. Auf Scheibes heftigen Protest gegen seine Entlassung folgte eine eilige Wiederberufung, die den Künstler aber nicht versöhnte. 1936 nahm er einen Ruf an die Berliner Akademie der Künste an.
Literatur und Quellen
Ausst. Kat. Vier Skulpturen im Städelgarten. Volkmann, Gaul, Kolbe, Scheibe. Skulpturenausstellung Sommer/Herbst 1988, Städtische Galerie Frankfurt am Main, Frankfurt 1988
Magdalena George, Der Bildhauer Richard Scheibe, Diss. Leipzig 1961
Karl Veidt und Georg Struckmeier (Hg.), Hundert Jahre St. Paulskirche. Jubiläumsfestschrift zum 9. Juni 1933, Frankfurt am Main 1933
Akten im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: S2/2649; S3/K2197; Magistratsakte 7916; Magistratsakte 3869
Wie ambivalent die Nationalsozialisten mit konformen Künstlern umgingen, wenn diese unerwünschte Themen behandelten, veranschaulicht ihr Umgang mit dem Bildhauer Richard Scheibe.