1922 gegründet hatte die NSDAP-Ortsgruppe eine kurze und wechselhafte Geschichte bis zum Parteiverbot im Frühjahr 1923.
In der parteiamtlichen Chronik „So kämpften wir!“ wird behauptet, dass die NSDAP in Frankfurt, ja im Gau Hessen-Nassau, eigentlich erst ab 1925 existierte und unter der Ägide des Gauleiters Jakob Sprenger über das Dasein einer winzigen Splitterpartei hinausgewachsen war. Dies ist eine Propagandalegende, denn die NSDAP wurde in Frankfurt bereits im Frühjahr 1922 gegründet, ohne dass sich der spätere Gauleiter dabei hervorgetan hatte.
Mit der Gründungsgeschichte und der ersten Ortsgruppe der NSDAP sind heute zumeist vergessene Namen wie Gustav Windmeier und Paul Kamke, die Aktivisten der „Organisation Consul“ (OC), Karl Tillessen, Otto Schröder, Georg Wurster (später NS-Kreisleiter von Calw), Friedrich Wilhelm Heinz und Hartmut Plaas, das wegen eines Fememordes inhaftierte Mitglied der „Schwarzen Reichswehr“, Paul Umhofer, der Führer des "Turnvereins Jahn", Kurt Münch, Adalbert Stier, Langula, der spätere Kreisleiter von Gießen, Ernst Schwing, der Frankfurter SA-Führer Adolf Freund und Helmuth Klotz verbunden, darunter auch einige Männer, die später nicht mehr im Dunstkreis der NSDAP auftauchten oder sogar zu ihren Gegnern zählten. Helmuth Klotz beispielsweise, Oberleutnant zur See und Promovend in Frankfurt, wechselte Ende der zwanziger Jahre zur SPD, emigrierte 1933 zwar noch rechtzeitig, wurde aber als Gegner der NSDAP im Exil verhaftet und 1943 in Plötzensee hingerichtet.
Zu den Schrittmachern der bis 1922 weitgehend auf Bayern beschränkten NSDAP zählten in Frankfurt alte Antisemiten der völkischen Parteien des Kaiserreichs, der rechte Rand der Deutsch-Nationalen Volkspartei, häufig in personeller Überschneidung mit dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“. Aktiv waren auch Anhänger des "Jungdeutschen Ordens" und desillusionierte jüngere Frontsoldaten aus der Gefolgschaft des Freikorpsführers Hermann Ehrhardt, die sich im „Verband nationalgesinnter Soldaten“, der „Organisation Consul“ – später „Bund Wiking“ – und dem „Turnverein Jahn“ tummelten und vor allem maßgeblich zum Aufbau der SA beitrugen. Der Parteichronist Gimbel nennt außerdem noch den aus dem Freikorps Oberland hervorgegangenen Bund Oberland, die kurzlebige Reichskriegsflagge (gegründet im Herbst 1923, Führer Ernst Röhm) und den Blücherbund, eine Absplitterung des Bundes Oberland, dessen Frankurter Ortsgruppe sich wiederum Ende 1922 vom französischen Geheimdienst in separatistisches Fahrwasser lenken ließ.
Als direkter Vorläufer der späteren NSDAP kann der von Gottfried Feder gegründete „Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft“ mit seiner Ortsgruppe in Frankfurt gelten, gegründet 1920. Sie war ganze zwölf Mann „stark“. An ihrer Spitze stand der Telegrafensekretär Paul Kamke, der gleichzeitig dem Vorstand des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" angehörte. Kamke war zu Beginn der zwanziger Jahre in Frankfurt schon bekannt wegen seiner regierungsfeindlichen Auftritte bei Versammlungen des Beamtenbundes. Für die sich etablierende nationalsozialistische Bewegung hielt er im September 1921 laut „Völkischer Rundschau“, der Zeitschrift der Frankfurter Völkischen, einen Vortrag über „Rassenfrage und Weltanschauung“.
Daneben gab es auch in Frankfurt eine kleine Gruppe der „Deutsch-Sozialen Partei“ (DSP). Diese war im Februar 1921 in Berlin von dem Lehrer Richard Kunze – wegen seiner Propagierung des politischen Kampfes mit Schlagwaffen auch „Knüppel-Kunze" genannt – gegründet worden.
An der Gründungsversammlung in Berlin nahmen auch einige namentlich nicht genannte Delegierte aus Frankfurt teil. Wie andere völkische Splitterparteien gebärdete sich die DSP gewaltverherrlichend und antisemitisch und pflegte eine antikapitalistische Rhetorik. Kunze konnte mit seiner Agitation weitere Bevölkerungskreise mobilisieren. Seine Partei hatte 1921 etwa 2.500 Mitglieder in Berlin und 7.000 in ganz Deutschland, 1925 sogar 3.000 bzw. 34.000. In Frankfurt trat laut den Erinnerungen des zeitweisen Giessener Kreisleiters Ernst Schwing der spätere Gauleiter Sprenger im Winter 1921 in der „Liedertafel“ in der Langestraße das erste Mal für die DSP in Erscheinung.
Zwischen den Grüppchen bestand trotz ideologischer Kongruenz und zum Teil Personalunion eine latente Konkurrenzsituation. Wer die parteiamtliche Chronik des siegreichen Aufstiegs der NSDAP im Gau Hessen-Nassau aufschlägt, findet zu Beginn die kennzeichnenden Sätze: „Dutzende von Bünden und Bündchen, Gruppen und Grüppchen, Organisationen und Erneuerungszirkeln usw. gab es nach dem Weltkrieg in Deutschland, die einzelne Gedankengänge mit nationalsozialistischem Gedankengut gemeinsam hatten. Es soll dabei anerkannt werden, dass viele Verbände und Organisationen insofern gutes geleistet haben, als sie versuchten, das damals seelisch vollkommen zusammengebrochene deutsche Volk aus seiner Teilnahmslosigkeit aufzurütteln. Aber welch verheerendes Beispiel gaben sie selbst dem Volke, dass sie zur Völkischen Erneuerung aufriefen! … Da, wo in erster Linie eiserne Geschlossenheit und unbedingte Disziplin und Unterordnung die Richtschnur des Handelns hätten sein müssen, herrschte ein wüstes Durcheinander. Wohl einig in dem Gedanken, dass die Verhältnisse in Deutschland geändert werden müssten, sahen die feindlichen Brüder die erste Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles in der gegenseitigen Bekämpfung … In Frankfurt am Main und im Gau Hessen-Nassau lagen zur damaligen Zeit die Verhältnisse gar nicht anders.“ Eine weitere Keimzelle der NSDAP in Frankfurt war die „Deutsche Buchhandlung“ des „Pg. Böhle“, in der 1925 in Frankfurt das erste „nationalsozialistische Schrifttum“ feilgeboten wurde. Völkische Literatur und Gazetten hatte er freilich schon früher an den Mann gebracht. Auch an der Universität gab es bereits 1922 eine „National-soz. Arbeitsgemeinschaft“, der der „Stud. Phil. Haupt“ vorstand.
Mit der Gründung der ersten NSDAP-Ortsgruppe am 18. April 1922 kam das Ende der DSP in Frankfurt: Wie das Presseorgan der völkischen Szene, die „Völkische Rundschau“ melden konnte, gliederte sich „die bisherige in Frankfurt bestehende Gruppe der Deutschsozialisten … in unsere Bewegung ein“ und trat geschlossen zur NSDAP über – unklar bleibt, ob auch der spätere Gauleiter Sprenger dazu zählte. Doch so recht wollte die Ortsgruppe im Gegensatz zur SA nicht wachsen. Der „Alte Kämpfer“ Otto Schröder über die Gründe: „Die Versammlungstätigkeit der nunmehrigen N.S.D.A.P. ließ sich recht ordentlich an, dagegen nahm der Führerstreit katastrophale Folgen an.“ Konkret ging es wohl um die Figur Gustav Windmeiers, der sich im Laufe des Jahres 1922 immer mehr aus der kleinen NSDAP zurückzog. Im Sommer 1922 verlor die Frankfurter NSDAP außerdem nicht nur den Schriftleiter der „Völkischen Rundschau“, Hartmut Plaas, sondern auch den SA-Organisator Karl Tillessen. Beide waren maßgeblich in das Attentat auf den Reichsaußenminister Walther Rathenau verwickelt und wurden im Herbst 1922 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Während die SA durch den Wiking-Führer Friedrich Wilhelm Heinz, die Sicherheitspolizisten Paul Umhofer, Kurt Münch und Otto Schröder stabilisiert und ausgebaut werden konnte, brach mit der Verhaftung von Hartmut Plaas auch der dürre propagandistische Unterbau zusammen. Die „Völkische Rundschau“ musste wegen Schadensersatzklagen und wohl auch fehlender Alimentierung durch die Ehrhardt-Gruppierung Bankrott anmelden und schließlich um Jahreswechsel eingestellt werden. Dies wiederum nahm Klotz zum Anlaß, Windmeier wegen Misswirtschaft heftig anzugehen, der sich daraufhin vollständig aus der NSDAP zurückzog.
Im November 1922 sprach der Schriftleiter des „Völkischen Beobachters“ und spätere Propagandaleiter der NSDAP, Hermann Esser, in Frankfurt. Ein Frankfurter Parteigenosse hatte ihn am 13. Oktober in München bei einer Versammlung gehört und ihm die schwierige Lage in seiner Heimatstadt geschildert. Esser kam an den Main und hielt am 7. November einen Vortrag über „Der nationale Sozialismus – Deutschlands Zukunft“. Laut „Völkischer Rundschau“ war Esser der erste Parteifunktionär „aus der Geburtsstätte der jungen Bewegung“, der zu den Mitgliedern und Anhängern, aber auch den zahlreich erschienenen Gegnern sprach. Seine Rede stand noch ganz unter dem Eindruck von Benito Mussolinis erfolgreichem Marsch auf Rom: Deutschlands Mussolini sei Adolf Hitler, ein „kühner Mann“ und „Vollblutdeutscher“. Durch diese Versammlung gab es offenbar wieder Auftrieb. Die Führung der Ortsgruppe übernahm jetzt der ehemalige Offizier Klotz, der zu der von dem Ehrhardt-Brigadier Friedrich Wilhelm Heinz geführten SA ein gutes Verhältnis besaß und auch dessen Führungsrolle im militärischen Bereich respektierte. Der „Alte Kämpfer“ und OC-Mann Ernst Schwing über diese Zeit: „Im Winter 1922 kamen wir in dessen Wohnung öfter zusammen. Dabei waren u.a. Rechtsanwalt Ludwig, Langula, Kampke, Peter Umhofer und Stier. Zu dieser Zeit versuchte Langula eine Germanen-Loge zu gründen. Kampke fing mit Spiritismus an, weshalb wir uns von ihm trennten.“
Doch der Auftrieb war von kurzer Dauer, denn bereits am 15. November 1922 war das Verbot der NSDAP in Preußen und am 28. April 1923 im Volksstaat Hessen ausgesprochen worden. Unter das Verbot in Preußen fiel z.B. auch eine geplante Veranstaltung mit Gustav Windemeier Anfang Dezember 1922, diesmal unter dem Namen „Großdeutsche Arbeiterpartei“ laut der Frankfurter SPD-Zeitung „Volksstimme“. Nun agierte die Frankfurter Ortsgruppe für kurze Zeit als Dependance der mit der NSDAP liierten „Deutschvölkischen Freiheitspartei“ (DVFP), die in Preußen noch nicht verboten war. Klotz sagte bei der einzigen öffentlichen Versammlung der DVFP vor Ort am 21. März 1923: „Der Nationalsozialismus hat in Bayern die Mehrheit hinter sich … Er hat gute Ziele. Wir, die deutschvölkische Freiheitspartei, haben einen anderen Namen in Preußen, aber ähnliche Ziele, und die sind auch gut.“
Dass da unter dem Tarnmäntelchen die alte Gruppierung weiteragierte, sahen wohl auch die wachsamen Frankfurter Polizeibehörden. Vor einer drohenden Verhaftung nach dem Verbot der DVFP am 23. März 1923 auch in Preußen flüchteten Stier und Klotz ins sichere Bayern, von wo aus sie weiter für NSDAP agitierten. Die hessischen NSDAP-Mitglieder ließen sich dann formell als Mitglieder der Ortsgruppe München registrieren, was später zu der Fehleinschätzung führte, es habe bis zur Neugründung 1925 durch Sprenger in Frankfurt gar keine NSDAP-Ortgruppe bestanden. Richtig ist aber, dass diese Gruppe bis ihrer Neugründung in einem desolaten Zustand und wenig handlungsfähig war.
Literatur::
Hessen unterm Hakenkreuz, Studien zur Durchsetzung der NSDAP in Hessen, hg. von Eike Hennig in Zusammenarbeit mit Herbert Bauch, Martin Loiperdinger und Klaus Schönekäs, Frankfurt 1984
A. Gimbel/S. Hepp, So kämpften wir! Schilderungen aus der Kampfzeit der NSDAP im Gau Hessen-Nassau, Frankfurt am Main 1941
Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler, Berlin 2000
Eberhart Schön, Die Entstehung des Nationalsozialismus in Hessen, Meisenheim am Glan 1972
1922 gegründet hatte die NSDAP-Ortsgruppe eine kurze und wechselhafte Geschichte bis zum Parteiverbot im Frühjahr 1923.