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Die Ökonomie des Widerstands

„Machtergreifung“ und „Gleichschaltung“ vernichteten die berufliche Existenz der Gegner des Nationalsozialismus. Widerstand verband sich mit neuen Berufen. Widerstand musste finanziert werden.

 

Franz Metz, bis 1928 Frankfurter Bezirkssekretär, dann Reichstagsabgeordneter der SPD und Bevollmächtigter beim Zentralvorstand des DMV in Berlin, kehrte, nachdem die Gewerkschaft aufgelöst, das Parlament „gleichgeschaltet“ und die SPD verboten waren, nach Frankfurt am Main zurück. Der 55-jährige eröffnete gemeinsam mit seiner Tochter in der Altstadt das Café Metz. Georg Stierle, der letzte Frankfurter Vorsitzende der SAP, verlor seine berufliche Existenz als Verwalter in der Römerstadt mit der Gleichschaltung der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen. Der 36-jährige erwarb ein kleines, heruntergekommenes Lebensmittelgeschäft in Bornheim.

 

Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung, Raub der Kassen, „Gleichschaltung“, Entlassungen und Säuberungen vernichteten planmäßig die berufliche Existenz der politischen Gegner des Nationalsozialismus. Franz Metz und Georg Stierle standen beispielhaft für den Neuaufbau einer beruflichen Existenz, der von vornherein auch die Fortsetzung des Widerstands ermöglichen sollte. Das Café Metz wurde zum wichtigten sozialdemokratischen Treffpunkt. Stierle legte den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit auf das Ausfahren von Bestellungen. Zum Kundenkreis gehörten vor allem Mitglieder der verbotenen SAP.

 

Der Schritt in die Selbstständigkeit bot die größte Unabhängigkeit von den nationalsozialistischen Machtstrukturen und den besten Schutz der Widerstandstätigkeit. Paul Apel arbeitete als Werber für das reichsweit vertriebene „Grüne Blatt“, Carl Tesch warb Abonnenten für das Neue Theater. Als Vertreter und Werber hatten sie von Berufs wegen die für die Widerstandsarbeit notwendige Mobilität. Laufkundschaft und Publikumsverkehr in Cafés, Gastwirtschaften, Läden, Obstständen oder Büchereien war per se unverdächtig. Der Gestapo fiel auf, dass nach 1933 auffällig viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter Mietwaschküchen betrieben.

 

Die Frankfurter Gruppe des ISK richtete eine Vegetarische Gaststätte ein, in der Mitglieder der Widerstandsgruppe für Essen und ein Taschengeld arbeiteten. Der Gewinn finanzierte die Widerstandstätigkeit. Zur Tarnung gehörte hier, dass die Gaststätte strikt nicht als Treffpunkt der Fünfergruppen genutzt wurde.

 

„Illegales“ Informationsmaterial kam über feste Verteilerkreise mit Kurieren, Zwischen- und Endverteilern zu den Empfängern, die im Gegenzug durch „Spenden“ die Widerstandsarbeit finanzierten. Spenden waren überhaupt eine wesentliche Quelle, weil sie für die Spender keine für den Falle der Entdeckung risikoreichen Spuren hinterließen. Kosten für die Verteidigung vor Gericht, Unterstützungsgelder für notleidende Emigranten oder für die Familien Inhaftierter wurden durch Spenden aufgebracht. Die Solidarität reichte tief in den Alltag hinein, bis hin zur stillschweigenden Weitergabe von Obst und Gemüse aus dem eigenen Kleingarten.

 

Die KPD überführte ihre Organisation unter Beibehaltung ihrer bürokratischen Strukturen in die Illegalität. Kassierer erhoben weiterhin Mitgliedsbeiträge. Die „illegalen“ Leitungen führten Mitgliederlisten. Auch die Rote Hilfe wurde als Organisation in die Illegalität überführt. Neben den Mitgliedsbeiträgen erbrachten Spenderkreise in den Betrieben die dringend notwendigen Mittel zur Unterstützung der Familien ermordeter, verhafteter, zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilter oder in Konzentrationslagern inhaftierter Genossinnen und Genossen. Die „Rote Hilfe“ richtete Spendenanlaufstellen ein. Eine befand sich in der Mokka-Rösterei Färber in der Innenstadt, die Theodor Haebich führte, ein promovierter Volkswirt, der 1933 als Oberregierungsrat entlassen worden war, eine andere in der Leihbücherei von Erwin Eckert im Bahnhofsviertel. Bedingt durch die Erfolge der Gestapo in der Aufdeckung des kommunistischen Widerstandes stieg die Zahl der Bedürftigen rapide, während die Zahl der Spender und Spenderinnen aus dem gleichen Grunde sank.

„Machtergreifung“ und „Gleichschaltung“ vernichteten die berufliche Existenz der Gegner des Nationalsozialismus. Widerstand verband sich mit neuen Berufen. Widerstand musste finanziert werden.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Apel, Paul


Eckert, Erwin


Haebich, Theodor


Metz, Franz


Stierle, Georg


Tesch, Carl

Verwandte Begriffe

5er Gruppe


DMV


Gleichschaltung


ISK


KPD


Rote Hilfe


SAP


Säuberung

Verwandte Orte

Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen


Lebensmittelgeschäft Georg Stierle


Leihbücherei


Mokka-Rösterei Färber



 
 
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