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Regimegegner bis zuletzt: Stephan Heise

Stephan Heise wuchs als Sohn eines angesehenen Kaufmanns in Kassel auf. Er  erlernte den Beruf des Buchbinders und trat im Jahr 1901 der Gewerkschaft des Deutschen Buchbinderverbandes bei. Nach seiner Hochzeit mit dem Hausmädchen Lina Müller im April 1906 arbeitete er als Lokalredakteur bei zahlreichen sozialdemokratischen Zeitschriften und Zeitungen, zuletzt beim „Volksboten“ in Stettin. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Heise 1915 zum Heeresdienst eingezogen und trat 1917 als Gegner der Kriegspolitik  gemeinsam mit seiner Frau der USPD bei. Während der Zeit der Novemberrevolution war er Mitglied des Soldatenrates in Wilna und redigierte dort als Schriftleiter die Zeitung der 10. Armee. 1919 kehrte er nach Stettin zurück und übernahm dort die Redaktion der USPD-Zeitung „Der Kämpfer“.  In den Jahren 1919 bis 1920 war er Stadtverordneter der USPD im Stettiner Stadtparlament.

 

1920 übersiedelte Heise mit seiner Frau nach Frankfurt am Main, wo er in der Redaktion der Zeitung „Volksrecht“ arbeitete. In seinen Artikeln propagierte Heise den Klassenkampf, grenzte sich jedoch von der revolutionären „Putschpolitik“ der KPD ab. Nach der Vereinigung von MSPD und USPD arbeitete er bei der sozialdemokratischen „Volksstimme“ als Leiter der Lokalredaktion. Von 1924 bis 1933 gehörte Heise als Vertreter des linken SPD-Parteiflügels dem Frankfurter Stadtparlament an. Hier vertrat er eine pragmatische Sozialpolitik und setzte sich für soziale Reformen ein.

 

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde Heise bei den Kommunalwahlen vom 12. März 1933 erneut zum Stadtverordneten gewählt und am 31. März 1933 vom nationalsozialistischen Oberbürgermeister Krebs verpflichtet. Als die SA am 5. Mai 1933 die Räume der sozialdemokratischen „Union Druckerei und Verlagsanstalt GmbH“ besetzte, wurde Heise noch am selben Tag als Redakteur und Prokurist der „Volksstimme“ fristlos entlassen und mit einem Berufsverbot belegt. Am 10. Mai 1933 nahm ihn die Polizei wegen des Verdachts der Teilnahme an einer SPD-Versammlung für einige Tage in „Schutzhaft“. Nach dem SPD-Verbot vom 22. Juni 1933 wurde Heise am 25. Juni 1933 gemeinsam mit weiteren führenden SPD Funktionären von der SA-Hilfspolizei verhaftet und bis zum 29. Juni 1933 im Frankfurter Polizeigefängnis erneut in „Schutzhaft“ genommen. Von dort verschleppte ihn die SA zwischenzeitlich in das „wilde“ SA-Lager in der ehemaligen Ginnheimer Perlenfabrik und misshandelte ihn schwer.

 

Seit Sommer 1933 nahm Heise im Café Rothschild und später im Café Metz regelmäßig an Treffen von Frankfurter Parteigenossen (u. a. Valentin Schmetzer, Albrecht Ege, Karl Kirchner) teil. Ab 1934 traf er sich dort aber auch zur Absprache einer gemeinsamen Widerstandsarbeit und zur Verteilung „illegaler“ Druckschriften wie der sozialdemokratischen Zeitung „Sozialistische Aktion“, die aus dem Ausland nach Deutschland geschmuggelt und vom Widerstandskreis um Paul Schmidt, Paul Kirchhof und Paul Apel vertrieben wurde. Heise stellte sein kleines Zigarrengeschäft in der Hanauer Landstrasse Nr. 19, das er zur Versorgung seiner Familie im Oktober 1934 eröffnet hatte, als Lager für die „Sozialistische Aktion“ zur Verfügung. Wie aus einem Eintrag in der Frankfurter Gestapokartei vom 13. Juli 1934 hervorgeht, äußerte sich Heise in dieser Zeit auch in der Öffentlichkeit verächtlich über die NS-Regierung.

 

Als die Gestapo schließlich die „illegale“ Verteilergruppe um Paul Apel enttarnen konnte, wurde auch Heise am 23. Oktober 1935 verhaftet und bis zum 4. Dezember 1935 im Frankfurter Polizeigefängnis in der Starkestrasse und anschließend im Frankfurter Gerichtsgefängnis Hammelsgasse sowie ab 6. März 1936 in der Frankfurter Haftanstalt Preungesheim inhaftiert. Von dort überstellte man ihn am 23. März 1936 ins Gerichtsgefängnis Kassel. Heise wurde beschuldigt, insgesamt fünf Exemplare der „Sozialistischen Aktion“ für jeweils 10 Reichspfennig erworben und damit die „illegale Organisation“ um Apel, Schmidt und Kirchhof zum Aufbau der SPD unterstützt zu haben. Aus diesem Grund verurteilte ihn der Strafsenat des Kasseler Oberlandesgerichts am 1. April 1936 wegen „Vorbereitung eines Hochverräterischen Unternehmens“ unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die er bis zum 23. Dezember 1936 in der Strafanstalt Hannover verbüßte.

 

Einen Tag vor dem Ende seiner Haftzeit verhängte die Gestapo in Hannover am 22. Dezember 1936 über Heise eine weitere „Schutzhaft“ und griff damit korrigierend in die Rechtsprechung ein.  So wurde er nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt Hannover am 23. Dezember 1936 bereits am Gefängnistor von der Gestapo in Empfang genommen. Diese überstellte ihn am 29. Januar 1937 in das Konzentrationslager Lichtenburg und von dort am 7. August 1937 in das Konzentrationslager Buchenwald, wo er ohne Prozess über weitere drei Jahre festgehalten wurde. Am 17. Oktober 1940 wurde Heise in das „Hausgefängnis“ der Gestapo, das Polizeigefängnis Starkestrasse in Frankfurt am Main, überstellt. Von dort entließ man ihn am 9. November 1940 mit der Auflage, sich regelmäßig bei der Gestapo zu melden. Da er dieser Meldepflicht nachkam, wurde die „Schutzhaft“ gegen ihn am 15. Februar 1941 endgültig aufgehoben.

 

Nach seiner Entlassung arbeitete Heise wieder in seinem alten Tabakladen. Laut Aussage des Zeitzeugen Emil Schmidt kritisierte Heise auch weiterhin in der Öffentlichkeit die NS-Regierung und bekundete offen seine Solidarität mit verfolgten Juden. Auch vertraute Heise seine neuesten konspirativen Pläne freimütig dem Gestapospitzel und ehemaligen Sozialdemokraten Wilhelm Diefenbach an, der diese Informationen weitergab.  So wurde Heise am 18. Januar 1942 erneut von der Gestapo verhaftet und wochenlang verhört. Am 9. März 1942 lieferte man ihn schließlich in das Konzentrationslager Sachsenhausen ein, wo er die Häftlingsnummer 41485 erhielt. Sein Zigarrengeschäft wurde im Mai 1943 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ seiner Frau Lina von der Gestapo geschlossen. Am 2. Februar 1945 wurden alle 60jährigen Häftlinge, darunter der 61jährige Heise, ausgesondert und auf einem Transport ins Konzentrationslager Bergen-Belsen geschickt. Auf diesem Todesmarsch, bei dem die Häftlinge auf eine Hungerration gesetzt wurden, ist Heise vermutlich ums Leben gekommen. Als offizieller Todestag wurde der 31. März 1945 festgesetzt, sein genaues Todesdatum blieb jedoch bis heute ungeklärt. An Stephan Heise erinnert eine Straße in der Frankfurter Siedlung West-Hausen.

 

Quellen

 

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: S2/4180; S1/98 Nr. 1; Magistratsakte 4301; Hausstandsbücher Nr. 1017; Nr. 826;  Protokolle der Stadtverordnetenversammlung P 147, P 148, P 149, P 150, P 156;

Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945: AN 949, AN 2587, AN 2602

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Datenbank Widerstand und Verfolgung; 518/362 Bd. 1-3 (Entschädigungsakte); Abt. 486 (Gestapokartei Frankfurt am Main); Abt. 409/3 Karteikarte Gerichtsgefängnis Hammelsgassse); Abt. 409/4 (Karteikarte Strafanstalt Preungesheim); Abt. 461 Nr. 1769 und Nr. 6050;

Hessisches Staatsarchiv Marburg: Best. 251 Wehlheiden Acc 1985/34 Nr. 1779 (Gefängnis Kassel Wehlheiden)

Bundesarchiv Berlin: R 30.01, R 58/3313; NJ 882; NJ 871 Bd. 4; NJ 8703 Bd. 1; ZC 3765 Bd. 1; ZC 7586;

Zeitungen:

Frankfurter Zeitung vom 14. Juni 1933; Frankfurter Nachrichten vom 26. Juni 1933; Frankfurter Neue Presse vom 17. Oktober 1963;

 

Literatur

 

Bermejo, Michael: Die Opfer der Diktatur. Frankfurter Stadtverordnete und Magistratsmitglieder als Verfolgte des NS-Staates, Frankfurt am Main 2006, S.147-154. Beier, Gerhard: Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch 150 Jahre (1834-1984), S. 443; Mausbach-Bromberger, Barbara: Arbeiterwiderstand in Frankfurt am Main. Gegen den Faschismus 1933-1945, Frankfurt am Main 1976, S. 20 und passim; König, Fritz/Stübling, Rainer: Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Friedensfreunde in Frankfurt am Main 1900-1933, Frankfurt am Main 1985, S. 127-136; Mausbach-Bromberger, Barbara: Arbeiterwiderstand in Frankfurt am Main. Gegen den Faschismus 1933-1945, Frankfurt am Main 1976, S. 20 u. passim; Maly, Karl: Das Regiment der Parteien. Geschichte  der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, Bd. 2: 1901-1933, Frankfurt am Main 1995, S. 372 u. passim; Rebentisch, Dieter: Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918-1945, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 466 u. 491; Ders.: Die treuesten Söhne der deutschen Sozialdemokratie, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 61 (1987), S. 334; Schneider, Dieter: Zwischen Römer und Revolution 1869-1969. Hundert Jahre Sozialdemokraten in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1969, S. 122 u. 124; Trott, Jan von: Für eine menschliche Stadt in einer vernünftigen Welt! Sozialdemokratische Stadtverordnetenfraktion Frankfurt am Main. 80 Jahre – 1904 bis 1984, Frankfurt am Main 1986, S. 261f., S. 332 u. S. 344;

Interview:  Emil Schmidt am 20. Dezember 1999



Autor/in: Michael Bermejo-Wenzel
erstellt am 02.07.2023
 

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