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Das Frankfurter Polizeibataillon 306

Postkartenansicht der Gutleutkaserne um 1935

Offiziere und Stabsunteroffiziere (stehend) des Polizeibataillons 306. Die Polizisten tragen noch die reguläre Uniform der Polizei, so dass die Aufnahme in das Jahr 1940 datiert werden kann und vermutlich in Lublin entstand.

Das Polizeibataillon 306. An den Schirmmützen sind noch deutlich die silbernen Abzeichen der Polizei zu sehen. Die Aufnahme entstand vermutlich im Frühsommer 1942 in Lettland oder Weißrussland.

Polizeiposten neben einem Wachhäuschen der Gutleut-Kaserne um 1938

Seit den Veröffentlichungen von Christopher R. Browning und Daniel J. Goldhagen über die Verbrechen des Hamburger Polizeibataillons 101 während des Zweiten Weltkriegs wird intensiver über die Täter und deren Motive geforscht. Die Polizeibataillone sind von Historikern als Forschungsgegenstand entdeckt worden. Auch in Frankfurt am Main war ein Polizeibataillon beheimatet, das sich an Mord- und Plünderungsaktionen beteiligte.

 

Durch den gestiegenen Bedarf an Polizeikräften in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten entstand nach Kriegsbeginn ein Personalmangel bei der Ordnungspolizei. Aus diesem Grund waren im Einvernehmen mit dem Oberkommando der Wehrmacht und dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei 26.000 ungediente Wehrpflichtige als Polizeirekruten in 38 neu geschaffene Polizeiausbildungsbataillone einberufen worden.

In Frankfurt am Main wurde ab dem Spätsommer 1940 ein solches Ausbildungsbataillon in der Gutleutkaserne zusammengestellt. Es setzte sich aus Berufspolizisten und so genannten „Freiwilligen“ aus den heutigen Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg (Großraum Mannheim) und dem Saarland zusammen. Das Bataillon bestand aus vier Kompanien, wobei sich eine Kompanie aus drei Zügen mit jeweils drei Gruppen zusammensetzte. Ihm waren zudem eine Kraftfahrzeugstaffel und eine Nachrichtenabteilung beigeordnet. Bataillonskommandeur war Major Ernst Dreier. Nach der Grundausbildung in der Gutleutkaserne wurde das Frankfurter Bataillon am 3. Oktober 1940 nach Lublin im damaligen Generalgouvernement versetzt und erhielt zu diesem Zeitpunkt die Bezeichnung Polizeibataillon 306. Unmittelbarer Vorgesetzter war der Höhere SS- und Polizeiführer Friedrich Wilhelm Krüger. In der ersten Zeit des Aufenthalts in Lublin wurde die Ausbildung fortgesetzt. Die Polizisten wurden unterwiesen, Juden als „Untermenschen“ und menschenunwürdig zu behandeln. Ein Beamter sagte in dem späteren Verfahren gegen ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306 vor dem Landgericht Frankfurt (1962-1973) aus:

„Ich weiß, daß die Juden von abends bis morgens nicht aus dem Ghetto durften, jeden Deutschen, der in Uniform an ihnen vorbeiging, grüßen mußten und vom Bürgersteig gehen mußten, wenn ein Uniformierter auf dem Gehstieg ging. Diese Anordnungen wurden uns wiederholt bei Kompaniebesprechungen bekannt gegeben und dabei darauf hingewiesen, daß bei Nichtbefolgung Maßnahmen ergriffen werden sollten. Das war so zu verstehen, daß wir die Juden vom Bürgersteig schmeißen oder ihnen in den Hintern treten sollten.“

 

Das Frankfurter Polizeibataillon im Einsatz

 

Diese Anordnungen wurden in der Regel befolgt. Das Frankfurter Polizeibataillon entwickelte sich zu einer Killer-Einheit, die an zahlreichen abscheulichen Verbrechen beteiligt war. Bereits in den ersten Wochen ihrer Stationierung im ostpolnischen Lublin wurden Angehörige des Bataillons als Wachpersonal bei Deportationen von Juden und anderen Opfern nach Auschwitz sowie bei Erschießungen von polnischen Zivilisten, denen Widerstand gegen die Besatzungsmacht vorgeworfen wurde, eingesetzt. Besonders brutal und rücksichtslos ging das Bataillon bei den „Kontingenteintreibungen“ landwirtschaftlicher Produkte vor. Die Gehöfte der Bauern, die keine genügenden Abgaben abliefern konnten, wurden angezündet. Im Regimentstagebuch des Polizeiregiments Lublin, in dass das Polizeibataillon 306 eingegliedert war, wurde nahezu täglich festgehalten, dass bei solchen „Einsätzen“ Personen „auf der Flucht“ erschossen wurden.

Ab Sommer 1941 war das Polizeibataillon 306 mit den Außenstellen in Deblin, Biala-Podlaska, Zamosc und Krasnik bei der „Schleichhandelbekämpfung“ eingesetzt. Die Versorgungslage der Juden im Distrikt Lublin wurde durch die Maßnahmen der deutschen Zivilverwaltung derart prekär, dass Juden gezwungen waren, in den umliegenden Dörfern Lebensmittel zu erbetteln, was die Polizeieinheiten mit Gewalt zu unterbinden versuchten. Bei diesen „Aktionen“ betrieben die Polizisten des Bataillons 306 selbst Schmuggel und „Schleichhandel“. So resümierte das Frankfurter Landgericht 1973 in der Urteilsschrift: „Ganze Urlaubszüge und Lastwagen von Beutegut wurden ins Reich verschoben.“ Die jüdische und nichtjüdische Bevölkerung war immer wieder brutalen Übergriffen des Polizeibataillons ausgesetzt. So sagte nach dem Krieg ein Polizist in einer Vernehmung aus:

„Im Sommer 1941 wurde ich zusammen mit Angehörigen unserer Kompanie als Begleitkommando bei einem Judentransport per LKW eingesetzt. In dem vorausfahrenden LKW saßen etwa 15 Juden unter Bewachung von Kompanieangehörigen. Außerhalb von Lublin hielten die LKW´s an und plötzlich wurde gerufen, die Juden seien flüchtig. Wir sprangen ab, forderten die Juden zum Stehenbleiben auf und dann wurden sie auf der Flucht erschossen. Die ganze Aktion schien mir in irgendeiner Form merkwürdig, ohne daß ich heute noch sagen kann, weshalb. Zurückgekehrt wurde gemeldet, die Juden seien ,auf der Flucht erschossen worden’.“

 

Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung

 

Im Herbst und Winter 1941 stellte das Bataillon Mannschaften zum Zusammentreiben jüdischer Menschen aus dem Ghetto von Lublin auf und beorderte „Begleitpersonal“ für „Transporte“ von Juden und anderen Opfern aus Lublin nach Auschwitz oder in andere Lager. Vom 21. bis 28. September.1941 haben Angehörige der 2. Kompanie auf der Grundlage des so genannten „Kommissarbefehls“ etwa 6.000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen. Der „Einsatz“ wurde zynisch als „Aktion Hühnerfarm“ bezeichnet, weil jeweils abends telefonisch die Anzahl der „(um-)gelegten Eier“ durchgegeben wurde. Bei der so genannten „Aktion Hasenschießen“ wurden unter nicht ganz geklärter Tatbeteiligung des Bataillons weitere etwa 780 sowjetische Kriegsgefangene bei Zamosc ermordet. In dieser Zeit war Dr. K. H. als Gerichtsoffizier zum Polizeibataillon 306 befohlen worden. Seine Beobachtungen fassen den Charakter der „Einsätze“ des Polizeibataillons 306 anschaulich zusammen:

„Am 15.10.1941 hatte ich mich beim Pol.Batl. 306 in Lublin zu melden, einer Einheit, die im besetzten Polen und rückwärtigen russischen Kriegsgebiet Sonderaufgaben wie Banditen- und Partisanenbekämpfungen, Exekutionen von Polen, Juden und russischen Kriegsgefangenen (sog. Politruks), zusammen mit dem SD, Kontingenteintreibungen bei polnischen Bauern, auf Befehl des Distriktgouverneurs und Evakuierungen ganzer Landstriche auf Befehl des SS-Hauptamtes ,Rasse und Siedlung‘ (Volksdeutsche Mittelstelle) und des Höheren SS-Polizeiführers‘ Globocnik von Lublin durchzuführen hatte. … Sehr bald erkannte ich, daß die genannten Maßnahmen mit großer Brutalität und Unmenschlichkeit ausgeführt wurden. – Ich übte daher zunächst im engsten Kameradenkreise scharfe Kritik an den vorgenannten Maßnahmen, wies auf die allgemein gültigen Gesetze der Menschlichkeit und auf völkerrechtliche Grundsätze hin, worauf ich als pedantischer Jurist und als zu weich eingestellter Offizier bezeichnet wurde.“

 

Im Fronteinsatz

 

Das Polizeibataillon 306 hatte eine breite Blutspur in Polen hinterlassen, bevor es im Februar 1942 zum Fronteinsatz in der Umgebung von Leningrad geflogen wurde. Im Juli 1942 wurde das Bataillon wieder aus dem Fronteinsatz herausgezogen und nach Lettland verlegt. In dieser Zeit wurden die Polizeieinheiten neu organisiert. Aus den bis dahin selbstständigen Polizeibataillonen 305, 306, 310 wurde das Polizeiregiment 15 unter dem Oberst Emil Kursk als Regimentskommandeur gebildet. Der Bataillonsstab lag fortan im weißrussischen Pinsk. Dort bestand die größte jüdische Gemeinde in Weißrussland. Die Kompanien hatten dem SD häufig Kräfte für „Einsätze“ bei der „Partisanenbekämpfung“ und anderen Tötungsaktionen abzustellen, die das Frankfurter Gericht so beschrieb: „Die Einheit war ständig auf der Menschenjagd gegen Partisanen, aus den Ghettos entkommenen Juden oder tatsächliche oder vermeintliche Sympathisanten. ... Das Töten unschuldiger Menschen war dabei an der Tagesordnung.“ So wurde u.a. ein Jude an einer zerstörten Brücke festgehalten, verhöhnt und wahrscheinlich ermordet. Ein Zeuge berichte von diesem Vorfall wie folgt: „Nach einer Brückensprengung erfolgte ein Partisanen-Einsatz. Dabei wurde ein Jude festgenommen. Der mußte vor den Angehörigen der Kompanie rundspringen und einen Bärentanz aufführen. Das hat er auch getan. Dann wurde er in den Wald geführt. Es fiel ein Schuß, und ich nehme an, daß er erschossen wurde.“

Im Juni 1942 erhielt die Außendienststelle des SD in Pinsk von Adolf Eichmann den Befehl, die mehr als 30.000 Juden in den Ghettos in der Umgebung, zu erschießen. Diese „Vernichtungsaktionen“ liefen immer nach dem gleichen Muster ab. Der Gebietskommissar ließ außerhalb der Ghettos Gruben ausheben, daraufhin sperrten Kräfte der Ordnungspolizei die Ghettos ab, „räumten“ die Häuser und trieben die Opfer „schlimmer als das Vieh“ zu den Gruben,. Die Massenexekutionen in den Gruben führten zumeist Angehörige der Pinsker SD-Dienststelle aus.

 

Das Ghetto von Pinsk

 

Bei der „Räumung“ und „Absperrung“ des Ghettos von Pinsk Ende Oktober 1942 gingen des Polizeibataillons 306 überaus grausam und brutal vor. Überlebende berichteten davon, dass die Beamten mit Äxten, Latten und Knüppeln auf Juden losgingen. Kleinkinder wurden an den Beinen gefasst und in den Kopf geschossen. In manche Häuser im Ghetto von Pinsk wurden Handgranaten geworfen. Das Frankfurter Schöffengericht sprach mit Recht von „Grausamkeiten ohnegleichen“. Bei dieser „Aktion“ wurden etwa 20.000 Juden ermordet.

Bei der „Partisanenbekämpfung“ im November 1942 wurden die Bewohner von zwei weißrussischen Dörfern ermordet. Die Polizisten riegelten im Morgengrauen die Ortschaften ab und trieben die Bewohner zu Gruben und erschossen Dorfbewohner. Bei einem Ausbruchsversuch der Bewohner feuerten die Polizisten mit Maschinengewehren wild um sich. Nach der Liquidierung der Dorfbewohner wurden die Dörfer in Brand gesteckt.

Anfang Dezember 1942 wurde das Polizeibataillon 306 in der Gegend von Kiew erneut zum Fronteinsatz versetzt, wo es, in schwere Kämpfe verwickelt, Ende 1942 nahezu aufgerieben wurde. Nach Kurt Daluege, Chef des Hauptamts Ordnungspolizei, starben viele Polizisten den „Heldentod“. Das Töten und Plündern des Frankfurter Mordbataillons hatte endlich ein Ende gefunden. Als Fazit lässt sich ziehen, dass viele Angehörige das Polizeibataillon 306 ohne nennenswerten inneren und äußeren Protest und ohne schwere Gewissenskonflikte von Anfang an die Mordbefehle befolgt haben.

 

 

Literatur::

Torsten Schäfer, „Jedenfalls habe ich auch mitgeschossen“, Das NSG-Verfahren gegen Johann Josef Kuhr und andere ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306, der Polizeireiterabteilung 2 und der SD-Dienststelle von Pinsk beim Landgericht Frankfurt am Main 1962-1973. Eine textanalytische Fallstudie zur Mentalitätsgeschichte, Münster usw. 2007

Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz - Ein Handbuch, Essen 2005

 

Seit den Veröffentlichungen von Christopher R. Browning und Daniel J. Goldhagen über die Verbrechen des Hamburger Polizeibataillons 101 während des Zweiten Weltkriegs wird intensiver über die Täter und deren Motive geforscht. Die Polizeibataillone sind von Historikern als Forschungsgegenstand entdeckt worden. Auch in Frankfurt am Main war ein Polizeibataillon beheimatet, das sich an Mord- und Plünderungsaktionen beteiligte.



Autor/in: Torsten Schäfer
erstellt am 01.01.2007
 

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