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Zeugenaussagen im Auschwitz-Prozess: Josef Glück

Der Auschwitz-Überlebende Josef Glück verwehrt sich gegen das angebliche Nichtwissen der Angeklagten über die Vergasungen in Auschwitz und berichtet dem Gericht von seinem 16-jährigen Neffen und dessen Wissen über seine bevorstehende Ermordung.

 

Der Kaufmann Josef Glück war bei seiner Aussage im Auschwitz-Prozess 66 Jahre alt und lebte in Israel. Im Sommer 1944 wurde der Textilfabrikant mit seiner Frau, die gerade das dritte Kind erwartete, seinen beiden zweijährigen Zwillingen, seiner Mutter, seiner Schwester und anderen Verwandten aus Rumänien nach Auschwitz verschleppt. Seine Häftlingsnummer ist nicht bekannt. Er überlebte als einziger seiner Familie.

 

Josef Glück wurde mit dem letzten Transport aus Kolozsvár nach Auschwitz deportiert. Nach der Selektion auf der Rampe wurde er in das so genannte Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau eingewiesen, wo seit Ende Mai 1944 auch ungarische Juden untergebracht wurden. Die gegenüberliegende Baracke war mit 1.200 jüdischen Jugendlichen aus Ungarn belegt. Anfang Oktober 1944 beobachtete Josef Glück wie der SS-Arzt Mengele mit drei Offizieren auf die Baracke zuging. Die Jugendlichen ahnten, dass ihnen Gefahr drohte, und versuchten zu fliehen. Mit Hunden wurden sie von den SS-Leuten zusammengetrieben und in die Baracke gesperrt. Zwei Tage später wurden sie mit LKWs zur Vergasung abtransportiert. Unter den Jugendlichen befand sich auch Andreas Rappaport, der Neffe von Josef Glück. In seiner Aussage berichtete Josef Glück auch über diesen Jungen und sprach über das „Nichtwissen“ der Angeklagten über Auschwitz, von dem er in der Zeitung gelesen hatte. Dabei zeigt er den Richtern weinend ein Foto seines Neffen.

Tondokument: Aussage des Zeugen Josef Glück im Auschwitz-Prozess; © Fritz Bauer Institut

 

„Das war ein jüdischer Feiertag. Ich glaube, das war, ja, das war das jüdische neues Jahr. Nach zwei Tagen dann sind gekommen Lastwagen. Und auf diese Lastwagen hat man diese Buben heraufgesetzt. Und hat man in Gas geschickt. Jetzt muß ich noch etwas sagen. Ich habe gelesen hier in Zeitungen bei uns, daß die Herren hier sagen, daß sie haben nicht gewußt, was eigentlich in Auschwitz war. Ich muß Ihnen erklären, daß am zweiten Tag, wenn ich dort war, ich habe schon alles gewußt. Aber nicht nur ich. Dieser kleine Bursche bitte, der ist 16 Jahre alt. Der heißt Andreas Rappaport. Er war in der ersten Baracke. Er hat mit dem Blut geschrieben, Ungarisch: ,Rappaport André, élt tizenhat évet. Andreas Rappaport, gelebt 16 Jahre.‘ Das habe ich selbst gesehen. Nach zwei Tagen, bitte, wenn die waren von dort weggeschleppt, ich bin gestanden in der Baracke Nummero 14. Er hat mir geschreit: ,Onkel, ich weiß, daß ich muß sterben. Sag für meine Mutter, daß bis letzten Moment habe ich auf sie gedacht.‘ Aber ich konnte nicht sagen, die Mutter ist auch gestorben. Bitte, dieser kleine Bub, der hat gewußt, was dort ist. Und die Herren nicht.“

 

 

Text aus: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963–1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S.72

Der Auschwitz-Überlebende Josef Glück verwehrt sich gegen das angebliche Nichtwissen der Angeklagten über die Vergasungen in Auschwitz und berichtet dem Gericht von seinem 16-jährigen Neffen und dessen Wissen über seine bevorstehende Ermordung.



Autor/in: Monica Kingreen
erstellt am 01.01.2006
 

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