Seite ausdrucken  
 
 

 
 

Der Beauftragte der Geheimen Staatspolizei für die jüdische Wohlfahrtspflege Ernst Holland

Gestapo-Gebäude Lindenstr. 27

Großmarkthalle, Sammelstelle für die Deportationen

Ausschnitt aus dem Personalbogen von Ernst Holland (vermutlich 1936)

In der Turnhalle der Klingerschule wurden die Vermögensgegenstände der zur Deportation bestimmten Juden gelagert und versteigert.

Gedenktafel an der Klingerschule, die heute an das dort begangene Unrecht erinnert

Verteilung von Spenden des WHV an der Leonhardswerft, 1934

Die Frankfurter jüdischen Einrichtungen verfügten über ein beachtliches Vermögenspotential, das nach den Ereignissen des 9. November 1938 der Kontrolle der Stadtverwaltung zu entgleiten drohte. Im Einvernehmen mit der Frankfurter Dienststelle der Gestapo beauftragte die Stadtverwaltung einen Beamten mit der Überwachung der Geschäftstätigkeiten der Jüdischen Wohlfahrtspflege. Es folgte die rasche Ablösung zweier versierter Fürsorgebeamter und die Einsetzung des ergebenen SS-Sturmführers, Parteigenossen und Karierrebeamten Ernst Holland, der sowohl die Interessen der Stadtverwaltung wie auch die der Gestapo vertrat.

Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ im Januar 1933 brachte für die jüdischen Bürger Frankfurts neben Diskriminierung und Schikanen auch wirtschaftliche Not mit sich. Viele wurden bereits seit den Boykottmaßnahmen vom 1. April 1933 oder nach dem „Berufsbeamtengesetz“ vom 7. April 1933 arbeitslos, andere verloren nach der „Reichskristallnacht“ ihre Arbeitsstelle. Die formal noch bestehenden Rechte auf Arbeitslosen- und Fürsorgeleistungen wurden mehr und mehr beschnitten. Viele Frankfurter Juden mussten sich an die Jüdische Wohlfahrtspflege wenden, um die ärgste Not zu lindern. In Frankfurt am Main verfügten die jüdischen Einrichtungen über ein beachtliches Vermögenspotential, das nach dem Willen der Stadtverwaltung nicht unkontrolliert bleiben konnte, zumal die Stadt Frankfurt am Main nach wie vor gesetzlich verpflichtet war, Fürsorgeleistungen an jüdische Bürger zu erbringen. Weder die Stadtverwaltung noch die NSDAP und die ihr nahe stehenden Organisationen in Frankfurt am Main wussten nach dem Novemberpogrom so recht, wie mit den jüdischen Selbsthilfeeinrichtungen zu verfahren sei. Nach den Vorstellungen von SS und Gestapo sollten die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen ihre formale Selbständigkeit behalten, so dass sie der NS-Volkswohlfahrt (NSV) nicht unterstellt werden konnten.

Im Einvernehmen mit der Frankfurter Dienstelle der Gestapo beauftragte die Stadtverwaltung einen Beamten mit der Überwachung der Geschäftstätigkeiten der Jüdischen Wohlfahrtspflege. Nach anfänglichen Unklarheiten über die Kompetenzen des städtischen Beauftragten folgte die rasche Ablösung zweier versierter Fürsorgebeamter und die Einsetzung des ergebenen SS-Sturmführers, Parteigenossen und Karierrebeamten Ernst Holland. Holland, 1898 in Frankfurt am Main geboren, galt mit der Mitgliedsnummer 280.718 als alter Kämpfer, was ihm nach 1933 den Zugang zur städtischen Verwaltung enorm erleichterte. In Sonderlehrgängen zum Verwaltungsbeamten ausgebildet, tat er in der Fürsorgeverwaltung Dienst. Die Frankfurter Gestapo favorisierte Ernst Holland und setzte seine Einsetzung als „Beauftragter für die Überwachung der jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen zu Frankfurt a. M.“ gegenüber der Stadt durch. Vor allem Oberbürgermeister Krebs hatte gegen Holland Bedenken. Formal blieb Holland immer städtischer Beamter, die Weisungsbefugnis lag jedoch eindeutig bei der Gestapo.

Seit der Dienstanweisung vom 31. Mai 1940 war Holland endgültig der „Beauftragte der Gestapo bei der Jüdischen Wohlfahrtspflege“ – eine im Reich einmalige Funktion. Holland residierte bis zu seiner Einberufung im Winter 1943 im Hermesweg 6, Sitz der Jüdischen Wohlfahrtspflege. Im Grunde war Holland für alle in Frankfurt verbliebenen Juden und die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen zuständig. Er war in die Verwertung des Vermögens und der Auflösung von Wohnungen der zur Deportation bestimmten Frankfurter Juden einbezogen, vermittelte Arbeitsplätze im geschlossenen Arbeitseinsatz, verwaltete und verwertete die jüdischen Krankenhäuser, Altenheime und sonstigen Immobilien.

Holland, stets in SS-Uniform, war unter den Frankfurter Juden gefürchtet. Nach Zeugenaussagen soll er ihm nicht genehme Personen geschlagen und deren Deportation beschleunigt haben.
Die Stadtverwaltung stand Holland skeptisch gegenüber. Sie verweigerte ihm im Herbst 1943 die uk-Stellung. Offenbar fand die Gestapo für die Zeit nach der Endlösung auch keine Verwendungsmöglichkeit mehr. Holland rückte im Dezember zur Waffen-SS ein. Er gilt als verschollen.

 

Literatur

Burkard, Benedikt/Gemeinhardt, Anne/Jung, Jenny/Zwilling, Jutta (Hrsg.), Eine Stadt macht mit. Frankfurt und der NS, Petersberg 2022, S. 117-121

Die Frankfurter jüdischen Einrichtungen verfügten über ein beachtliches Vermögenspotential, das nach den Ereignissen des 9. November 1938 der Kontrolle der Stadtverwaltung zu entgleiten drohte. Im Einvernehmen mit der Frankfurter Dienststelle der Gestapo beauftragte die Stadtverwaltung einen Beamten mit der Überwachung der Geschäftstätigkeiten der Jüdischen Wohlfahrtspflege. Es folgte die rasche Ablösung zweier versierter Fürsorgebeamter und die Einsetzung des ergebenen SS-Sturmführers, Parteigenossen und Karierrebeamten Ernst Holland, der sowohl die Interessen der Stadtverwaltung wie auch die der Gestapo vertrat.



Autor/in: Lutz Becht
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Holland, Ernst

Verwandte Beiträge

Jüdische Wohlfahrt nach dem Novemberpogrom von 1938 bis 1940

Verwandte Begriffe

Arisierung


Deportation


geschlossener Arbeitseinsatz


Gestapo


NS-Volkswohlfahrt


NSDAP


NSV


Reichskristallnacht


SS


uk-Stellung



 
 
  Betreiber
Stadt Frankfurt am Main Institut für Stadtgeschichte
Münzgasse 9
60311 Frankfurt am Main
im Auftrag des Dezernats für Kultur und Freizeit