Unter dem Eindruck der Besetzung des nahen Rheinlandes und der sozialen und wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Krieges entsteht in Hessen ein nationalistisch-antirepublikanisches Netzwerk, aus dem sich später die NSDAP und andere rechtsradikal-völkische Gruppierungen herausbildeten.
Im politisch hoch aufgeladenen ersten Friedens-Sommer nach Ende des Ersten Weltkrieges waren auch in Frankfurt die antisemitischen und völkisch-nationalistischen Gruppierungen in vorderster Front bei der Agitation gegen die neue Republik zu finden. Nahrung gab ihrer Propaganda neben den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des verlorenen Krieges vor allem der Versailler Vertrag, demzufolge das Deutsche Reich ein Siebtel seines Gebietes und ein Zehntel seiner Bevölkerung an die Siegerstaaten abtreten musste, darunter Gebiete mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung für das rohstoffarme Deutschland. Zu den harten Bedingungen zählten weiterhin hohe Reparationen, Abtretung des Kolonialbesitzes, die Entmilitarisierung und die Schaffung einer entmilitarisierten Zone am Rhein, in der keine Truppen des neuen Hundertausend-Mann-Heeres stationiert sein durften, und eine Teilbesetzung linksrheinischer Gebiete. Für die Einwohner der Stadt Frankfurt begann die besetzte Zone im heutigen Stadtteil Höchst, das bis 1930 zum französisch besetzten Brückenkopf Mainz gehörte. Im April 1920 marschierten die Franzosen als Demonstration der Macht sogar für einige Wochen in Frankfurt ein. Die Tumulte an der Hauptwache, wo französische Soldaten aus ungeklärten Gründen Schüsse in die Menge der Neugierigen abgaben, endeten nicht nur mit etlichen Toten, sondern verstärkten auch die antifranzösische Stimmung. Besonders demütigend wirkte die im Vertrag festgeschriebene alleinige Kriegsschuld Deutschlands – es gab also genug an Anknüpfungspunkten für die Rhetorik der alten und neuen Demokratie-Gegner. Diese sahen in den Bolschewisten und den Juden die Verantwortlichen für den verlorenen Krieg. Und so war es kein Wunder, dass alsbald eine antisemitische Propaganda-Welle auch durch das Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen ging, für die verschiedene nationalistische Gruppierungen verantwortlich zeichneten.
Die "Frankfurter Zeitung" berichtete schon knapp drei Wochen nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, am 22. Juli 1919, über das zunehmende antisemitische Klima zwischen Darmstadt und Kassel: „Der Deutsche Schutz- und Trutzbund, der Deutschvölkische Bund, der Reichshammerbund Theodor Fritschs, der Ausschuß für Volksaufklärung Richard Kunzes und andere geistesverwandte Organisationen, die von Frankfurt aus die Bevölkerung mit Millionen von Flugblättern überschütten …, treiben bereits eine ausgesprochene Pogrompropaganda. Ein Flugblatt …, das die wahnwitzige Lüge vom Massenritualmord auftischt, ruft zur Rache, zur Vernichtung und zum Todschlag auf, ein anderes, das heimlich am Schwarzen Brett der Frankfurter Universität angeklebt worden war, enthielt den Appell: ‚auf zum Pogrom‘, und ebenso finden sich überall die schwersten Gewaltdrohungen.“ Von der Drohung war es indes nur ein kleiner Schritt zur Ausführung: „In Marburg und Gießen haben sich mehrfach Studenten Misshandlungen von Juden zukommen lassen.“
Die im Artikel der "Frankfurter Zeitung" genannten Organisationen hatten sich im Februar 1919 zum „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ (DSTB) zusammengeschlossen, der auch in Frankfurt zusammen mit der assoziierten Deutschnationalen Volkspartei und dem 1920 gegründeten „Jungdeutschen Orden“ Arthur Mahrauns als einer der Vorläufer der 1922 ins Leben gerufenen NSDAP-Ortsgruppe Frankfurt wirkte. Der „Deutschvökische Schutz- und Trutzbund“ zählte reichsweit bereits Ende 1919 über 25.000 Mitglieder in 85 Ortsgruppen. Bis zum Jahr seines Verbots 1922 nach dem Attentat auf Walther Rathenau wuchs die Zahl auf nahezu 200.000 Mitglieder in mehr als 600 Ortsgruppen an. Allein im Jahre 1920 wurden gut sieben Millionen Flugblätter, fast fünf Millionen Handzettel und etwa acht Millionen Klebemarken unter der Bevölkerung verteilt. Von seinen Mitgliedern forderte der DSTB den Nachweis „arischer“ Abstammung, als Vereinssymbol diente das Hakenkreuz. (Schön, Entstehung, S. 28ff.)
Auch in Frankfurt trat der DSTB mit einer massiven judenfeindlichen Hetze an die Öffentlichkeit. Namen, die mit Frankfurter Ortsgruppe immer in Verbindung standen, waren die späteren Mitbegründer der Frankfurter Ortsgruppe der NSDAP, der erste Vorsitzende des DSTB, Gustav Windmeier, und Paul Kamke. Im Juni 1920 berichtete die „Frankfurter Zeitung“ beispielsweise von einer Zuschrift der Frankfurter Ortsgruppe des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der sich zur Abwehr des auflodernden Antisemitismus gegründet hatte. Der Zentralverein wies darauf hin, dass auch die Frankfurter Deutschvölkischen ein Flugblatt über die angebliche Verschleuderung von Heeresgut an jüdische Spekulanten verteilten, dass vom Landgericht in Breslau verboten worden war, und forderten die Leser auf, derartige Flugblätter an den Zentralverband zu senden. (Schön, Entstehung, S. 28ff.)
Am 9. Mai 1921 trat der Historiker Arthur Hoffmann-Kutschke aus Halle, dort Gauwart des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“ in Frankfurt im Saal des „Zoologischen Gartens“ als Redner auf. Thema der Veranstaltung: „Deutschland den Deutschen – zur Rassenfrage“. Diese sehr gut besuchte Veranstaltung kann als eine der ersten Großveranstaltungen mit anschließender Saalschlacht gelten, Muster für viele spätere Saalschlachten und Propagandaabende der NSDAP.
Der Frankfurter Schutzpolizist Otto Schroeder, NSDAP-Mitglied in Frankfurt der ersten Stunde, hat in seinen Erinnerungen eine glorifizierende Schilderung dieser ersten Saalschlacht gegeben.
Bis zum Verbot des Bundes nach dem Rathenau-Mord war der DSTB eine der rührigsten Organisationen der Völkischen. Nach dem massiven Propagandaeinsatz bei den Juniwahlen 1920 betrieben die Organisatoren den weiteren Ausbau von Ortsgruppen im Rhein-Main-Gebiet, die Gründung von Wehrsportvereinigungen und schließlich den Aufbau eines „Gauverbandes Hessen und Hessen Nassau“. Bis zum Sommer 1922 waren Ortsgruppen in Hanau, Wiesbaden, Darmstadt, Offenbach, Limburg, Gießen und Mainz nachzuweisen. Seit den Sommermonaten 1921 trat der Frankfurter DSTB – folgt man den Ankündigungen und Berichten in der völkischen Presse Frankfurts – nahezu wöchentlich mit Werbeveranstaltungen in der Stadt oder der Umgebung an die Öffentlichkeit, mal war es ein „gemütliches Beisammensein“, mal ein „Unterhaltungsabend mit Konzert“ oder ganz dem bürgerlichen Honoratiorenstil der Majorität der Mitglieder entsprechend, wurde zu einer „Stammtischbannerweihe“ nebst „humoristischen Vorträgen“ oder einem „gemeinschaftlichen Spaziergang“ eingeladen. (Schön, Entstehung, S. 28ff.)
Nach der Ermordung Walther Rathenaus durch die „Organisation Consul“ am 24. Juni 1922 wurde der DSTB in weiten Teilen des Reiches auf Grundlage der beiden Notverordnungen zum Schutze der Republik vom 26. und 29. Juni 1922 sowie des entsprechenden Gesetzes vom 21. Juli 1922 verboten. Denn die Attentäter und ihr Umfeld waren bekanntlich auch im „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ aktiv gewesen. Nur in Bayern, Württemberg, Anhalt und Mecklenburg-Strelitz wurde kein Verbot ausgesprochen; Bayern weigerte sich generell, das Republikschutzgesetz umzusetzen. Verboten wurden in Hessen-Nassau auch Veranstaltungen des "Jungdeutschen Ordens", des Nationalverbandes deutscher Soldaten, des „Stahlhelms – Bund der Frontsoldaten“ und der NSDAP. Den Mitgliedern des DSTB bot sich in der im April 1922 gegründeten Ortsgruppe der NSDAP und mit dem Nachfolgeverband der „Organisation Consul“, dem „Bund Wiking“, bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 ein neues Betätigungsfeld, wo die alte Politik und die alten Inhalte unter neuem Deckmantel weiter betrieben wurde.
Literatur::
Friedrich Wilhelm Heinz, Sprengstoff, Berlin 1930
Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes 1919-1923, Hamburg 1970
Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition um Friedrich Wilhelm Heinz, Berlin 2000
Martin Sabrow, Der Rathenau-Mord. Rekonstruktion einer Verschwörung ggen die Republik von Weimar, München 1994
Ernst von Salomon, Die Geächteten, Berlin 1930
Eberhard Schön, Die Entstehung des Nationalsozialismus in Hessen, Meisenheim/Glan 1972
Unter dem Eindruck der Besetzung des nahen Rheinlandes und der sozialen und wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Krieges entsteht in Hessen ein nationalistisch-antirepublikanisches Netzwerk, aus dem sich später die NSDAP und andere rechtsradikal-völkische Gruppierungen herausbildeten.