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Carl Thormann, Rechtsanwalt und Verteidiger von Regimegegnern

Carl Thormann, ca. 1934

In einem fragwürdigen Ehrengerichtsprozess verlor Carl Thormann seine Zulassung zur Anwaltschaft; erst 1999 wurde er rehabilitiert.

 

Carl Thormann stammte aus einer Familie, die – aus Westfalen kommend – im politischen Katholizismus in Frankfurt eine Rolle spielte. Er wurde am 18. Juni 1874 in Münster, Westfalen, geboren, studierte in Marburg und München Jura; nach der Referendarszeit und der Ablegung der großen Staatsprüfung in Berlin 1902 ließ er sich als Rechtsanwalt beim Landgericht Limburg nieder. Am 17. August 1908 wurde er beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main zugelassen. Seine Praxis in Frankfurt führte er zusammen mit dem Sozius Justizrat Eugen Helfrich. Neben seiner juristischen Tätigkeit engagierte er sich in der Politik: 1906-1908 gehörte er dem Limburger Magistrat an; 1913 kandidierte er als Vertreter des Zentrums für die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, siegte gegen den bekannten Sozialdemokraten Max Quarck und war bis Ende 1918 Stadtverordneter.

 

Vor dem Hintergrund dieses familiären, politischen und konfessionellen Umfelds ist wohl auch die Haltung Carl Thormanns nach 1933 zu sehen. Er geriet besonders durch seine Rolle als Verteidiger des mit ihm befreundeten Professors Friedrich Dessauer im sogenannten „Kleinen Volksvereinsprozeß“ vor dem Landgericht Mönchengladbach ins Schussfeld der Machthaber. Aufgrund der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 verhängte man gegen ihn Schutzhaft und auf Antrag des Generalstaatsanwalts wurde gegen ihn in Frankfurt am 20. Januar 1934 eine Voruntersuchung im ehrengerichtlichen Verfahren eröffnet, wegen der Beschuldigung „zu Frankfurt am Main in den Jahren 1931, 1932 und 1933 nahe Beziehung zu dem berüchtigten Pazifisten Prof. Dr. Foerster in Paris unterhalten (…) zu haben (…)“ sowie „(…) an den Religionsprofessor Dr. Ignatz Glas in Oberschützen (Österreich) folgendes Schreiben gesandt zu haben (…)“. Weitere Beschuldigungen sollten seine politische Unzuverlässigkeit („landesverräterische und staatsfeindliche Betätigung“) erweisen. Am 10. März 1934 erging ein Vertretungsverbot. Hier wurden nun die wahren Gründe offengelegt: Thormann hatte die Verteidigung der Angeklagten im sogenannten "Kleinen Volksvereinsprozeß" übernommen. Der katholische Reichstagsabgeordnete Friedrich Dessauer, Pionier der Röntgenmedizin und Professor in Frankfurt, war auch Teilhaber der Carolus-Druckerei, die die christlich orientierte „Rhein-Mainische Volkszeitung“ druckte. Josef Knecht war Mitarbeiter Dessauers und Geschäftsführer der Druckerei. Sie wurden nominell wegen Untreue angeklagt; der wahre Hintergrund war die politische Ausrichtung.

 

Während der Hauptverhandlung in dem "Volksvereinsprozeß" kam Thormann in Verdacht, unerlaubte politische Beziehungen zu ausländischen Kreisen zu unterhalten. Wegen seines „undeutschen Handelns“ erhielt er das Vertretungsverbot, wogegen er Beschwerde einlegte. Aber das „Ehrengericht der Anwaltskammer im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt“ – unter Vorsitz von Leuchs-Mack – erkannte gegen ihn auf Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft (14. Juli 1934) und begründete das mit seiner „Gehässigkeit gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung, auch gegenüber der Tätigkeit des deutschen Militärs während des Krieges (…)“ sowie ganz allgemein „undeutscher Gesinnung“. Zitat: „Er hat seinen Angestellten gegenüber die Franzosen als Gentlemen bezeichnet, offenbar mit dem niedrigen Gedanken, daß die Deutschen dies nicht seien.“ Und die Begründung für den Ausschluß gipfelt in den Worten: „(…) daß er undeutsch gedacht hat, noch undeutsch denkt und aller Voraussicht nach immer undeutsch denken wird. Ein Mann von so ausgesprochener Prägung wie der Angeklagte ändert seine Ansichten nicht, zumal er im Alter von 60 Jahren steht. Er mag sich wohl der Not gehorchend auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellen. Damit ist dem heutigen Deutschland nicht gedient. Damit ist auch der deutschen Rechtsanwaltschaft nicht gedient, von der verlangt werden muß, daß sie freudigen Herzens ohne Einschränkung und ohne Vorbehalte mitarbeitet an der Wiederaufrichtung eines neuen Deutschland und in ihm eines neuen deutschen Rechtes. Das Ehrengericht hat daher auf die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt.“

 

Für die Berufung gegen dieses Urteil gelang es ihm zunächst nicht, einen anderen Anwalt als Vertreter zu gewinnen. Das Urteil der Anwaltskammer Frankfurt wurde durch Urteil des Ehrengerichtshofes (Entscheidungen, S. 231ff.) bei der Reichs-Rechtsanwaltskammer vom 19. Dezember 1934 bestätigt: „Wie ist heute das Verhalten eines Anwalts zu beurteilen, der im Jahre 1931 einen politischen Briefwechsel mit einem im Ausland lebenden bekannten deutschen ‚Pazifisten‘ unterhielt, dessen landesverräterische literarische Tätigkeit dem Anwalte im wesentlichen bekannt war?“ Die Verbindung Thormanns mit Professor Foerster, der des „literarischen Landesverrats“ bezichtigt wird, wurde als „Verfehlung gegen die Standespflichten“ bekräftigt und ihm damit die Fähigkeit, „Organ der Rechtspflege“ zu sein, abgesprochen. So war sein Ausschluß aus der Anwaltschaft besiegelt.

 

Offenbar haben Carl Thormann die Geschehnisse sehr zugesetzt – einige seiner neun Kinder waren noch unterversorgt, als ihm durch den Ausschluss jede Verdienstmöglichkeit genommen wurde. Er starb am 28. Januar 1935 an Herzversagen.

 

Das Urteil des Ehrengerichtes wurde erst am 25. Januar 1999 durch die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main aufgehoben.

 

 

Literatur::

Vollständiger Text in: Barbara Dölemeyer, „Die Frankfurter Anwaltschaft zwischen 1933 und 1945“ in: Rechtsanwälte und ihre Selbstverwaltung 1878 bis 1998, hg. v. der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main, Wiesbaden 1998, S. 59–129.

In einem fragwürdigen Ehrengerichtsprozess verlor Carl Thormann seine Zulassung zur Anwaltschaft; erst 1999 wurde er rehabilitiert.



Autor/in: Barbara Dölemeyer
erstellt am 01.01.2003
 

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