Erst in den späten fünfziger Jahren ermittelte die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung Nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ in Ludwigsburg gegen die Täter aus den Reihen der Ordnungspolizei. Bis dahin lebten die Beamten des Polizeibataillons 306 ein „ganz normales Leben“. Die wenigen Verurteilungen fielen vergleichsweise milde aus.
Was wurde aus den Beamten des Frankfurter Polizeibataillons 306 nach Ende des Zweiten Weltkriegs?
Die meisten Beamten des Polizeibataillons 306, die den Krieg überlebt hatten, kehrten in ihre Heimat, viele davon ins Rhein-Main-Gebiet, zurück. Die wenigsten von ihnen wurden im Rahmen der so genannten Entnazifizierung tangiert. Von den verantwortlichen Offizieren wurde lediglich der Kompanieführer Johann Josef Kuhr vorübergehend festgenommen. Die anderen Offiziere und die meisten einfachen Polizisten wurden von den Alliierten, soweit dies aus den Personalakten bekannt ist, nur als „Mitläufer“ eingestuft. Juristisch unbehelligt führten die meisten sodann wieder ein „ganz normales“ Leben. In der Mehrheit waren sie Ehemänner und Väter, die sich reibungslos in die Nachkriegsgesellschaft integrieren konnten. Sie fanden wieder Arbeit. Manch einer der „Freiwilligen“ kehrte in den vor dem Krieg erlernten Beruf zurück. Viele der an den Morden Beteiligten wurden wieder in den Polizeidienst aufgenommen. Von 33 Angehörigen des Polizeibataillons 306 ist bekannt, dass sie auf verschiedenen Polizeirevieren in Frankfurt am Main ihren Dienst verrichteten. Auch die beiden Kompanieführer Johann Josef Kuhr und Heinrich Plantius arbeiteten wieder im Polizeidienst bzw. bei der Frankfurter Stadtverwaltung. Einige Polizisten waren infolge von Kriegsverletzungen kriegsversehrt. Von keinem der Frankfurter Massenmörder des Bataillons ist bekannt, dass er an Schuldgefühlen psychisch litt.
Die fünfziger Jahre vergingen, ohne dass ein einziger ehemaliger Angehöriger des Polizeibataillons 306 für seine Verbrechen während des zweiten Weltkriegs zur Verantwortung gezogen wurde. Etwa 60 bis 80 ehemalige Polizisten des Polizeibataillons 306 feierten Anfang 1958 ein „Wiedersehenstreffen“ mit „Musik und Tanz und Unterhaltung“ in einer Frankfurter Gaststätte.
Die Ermittlungen
Erst 1959 begannen Staatsanwälte der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung Nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ in Ludwigsburg anhand von Dokumenten aus den Nürnberger Prozessen mit den Ermittlungen wegen der Verbrechen im Raum Pinsk. Schon bald gerieten die Beamten des Polizeibataillons 306 in den Verdacht, bei den Ghettoräumungen und zahlreichen weiteren Verbrechen maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Im September 1962 wurden die ehemaligen Kompanieführer Johann Josef Kuhr, Heinrich Plantius und Rudolf Eckert in Untersuchungshaft genommen. Das Frankfurter Landgericht nahm die Ermittlungen auf. Bereits nach drei Monaten wurden die Beschuldigten gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. In den Vorermittlungen und in der richterlichen Voruntersuchung wurden insgesamt 218 ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306 ausfindig gemacht. In den Vernehmungen behaupteten viele der Polizisten, von den Verbrechen nichts gewusst zu haben, weil sie krank, im Urlaub oder im Küchendienst usw. eingeteilt gewesen seien. Eine Vielzahl der verhörten Täter gab an, sich vor den Mordbefehlen gedrückt oder ihnen sogar verweigert zu haben. Außerdem könne man sich nach all den Jahren nicht mehr genau erinnern. Dennoch legten relativ viele der Beamten Geständnisse ab. Immerhin 10 der 52 vernommenen Angehörigen der tatbeteiligten 2. Kompanie gaben zu, eigenhändig sowjetische Kriegsgefangene bei der „Aktion Hühnerfarm“ erschossen zu haben. Diese Geständnisse hatten aber nur in einem Fall strafrechtliche Konsequenzen. Lediglich der ehemalige Zugführer Heinrich Groß, der nach dem Krieg in Frankfurt eine Gaststätte betrieb und in einer Vernehmung zugab, eine jüdische Frau erschossen zu haben, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Die anderen einfachen Polizisten, die Geständnisse ablegten, wurden nicht angeklagt. Ermittelt wurde ausschließlich gegen die Kompanieführer. Nach über zehn Jahren Ermittlungsarbeit wurde am 25. November 1971 die Hauptverhandlung beim Landgericht Frankfurt am Main eröffnet. In die Schlagzeilen geriet das Verfahren deutschlandweit durch einige angeblich „nazifreundliche“ Äußerungen, die der Richter Wolf Schwalbe bei einer Besichtigungsreise des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger in der Sowjetunion gemacht haben soll. Plötzlich wurde nicht mehr gegen die Angeklagten, sondern gegen den Richter ermittelt. Schließlich wurde Schwalbe wegen Befangenheit abgesetzt. Nach 91 Verhandlungstagen wurden die Offiziere des Polizeibataillons Johann Josef Kuhr zu zwei Jahren und sechs Monaten, Heinrich Plantius und Rudolf Eckert zu drei Jahren Haft wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord verurteilt. Im gleichen Verfahren wurden noch ein Offizier des SD in Pinsk und ein Schwadronsführer der Polizeireiterabteilung 2 zu Haftstrafen veurteilt. Ein weiterer Offizier des Polizeibataillons 306 wurde in einem Verfahren vor dem Augsburger Landgericht verurteilt. In den Augen der Staatsanwälte und Richter waren die Angeklagten keine Mörder. Sie wurden lediglich wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten gegen ihr Gewissen und gegen ihre inneren Einstellungen Mordbefehle befolgt hatten, weil sie an Gehorsam gewohnt waren und eine Befehlsverweigerung für sie nicht in Frage gekommen wäre. Das Gericht hat in den Fällen der angeklagten Kompanieführer keinen Versuch unternommen, eine Täterschaft nachzuweisen. Die Wissenschaft interessierte sich erst gegen Ende der neunziger Jahre für die „durchschnittlichen“ Holocaust-Täter und deren Motive. Von den Frankfurter Polizisten des Polizeibataillons 306 ist heute keiner mehr am Leben.
Literatur::
Torsten Schäfer, „Jedenfalls habe ich auch mitgeschossen“, Das NSG-Verfahren gegen Johann Josef Kuhr und andere ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306, der Polizeireiterabteilung 2 und der SD-Dienststelle von Pinsk beim Landgericht Frankfurt am Main 1962-1973. Eine textanalytische Fallstudie zur Mentalitätsgeschichte, Münster usw. 2007
Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz - Ein Handbuch, Essen 2005
Erst in den späten fünfziger Jahren ermittelte die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung Nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ in Ludwigsburg gegen die Täter aus den Reihen der Ordnungspolizei. Bis dahin lebten die Beamten des Polizeibataillons 306 ein „ganz normales Leben“. Die wenigen Verurteilungen fielen vergleichsweise milde aus.