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Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen

Flüchtlinge vor dem Ostbahnhof 1946

Ankunft 1946 von Heimatvertriebenen aus Teplitz im Sudentenland

Ankunft 1946 von Heimatvertriebenen aus Teplitz im Sudentenland

Bis 1953 zogen mehr als 80.000 deutsche Heimatvertriebene und Flüchtlinge nach Frankfurt, wobei ihre Unterbringung und Versorgung zunächst das größte Problem für die Stadtverwaltung darstellte. Mit Beginn der 50er Jahre half bei der wirtschaftlichen Integration neben der konjunkturellen Erholung der Hessenplan und nicht zuletzt das Bundesvertriebenengesetz mit der Regelung des Lastenausgleichs.

 

Die Integration der bis zu zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen, die nach 1945 aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten auf dem Weg nach Westen waren und bis 1949 zu einem großen Teil in der Bundesrepublik Deutschland ankamen, stellte eine große Herausforderung an den jungen deutschen Staat dar.

 

Für die amerikanische Besatzungszone war nach einem Verteilerschlüssel die Aufnahme von bis zu 1,7 Millionen Vertriebenen vorgesehen. Laut einer Vereinbarung des Länderrates vom 12. November 1945 sollte Hessen davon rund 27 Prozent oder rund 600.000 Menschen aufnehmen. Zwischen 1946 und dem 1. Juni 1949 hatte Hessen insgesamt 652.298 Flüchtlinge und Vertriebene aus West- und Ostpreussen, Pommern und Schlesien sowie aus deutschen Siedlungsgebieten in der Tschechoslowakei und Südosteuropas aufgenommen. (Kropat, S. 217f.) Für die Bi- und später die Trizone (Zusammenschluss zunächst der amerikanischen und britischen, später auch der französischen Zone), stellte sich angesichts der Trümmer und der Lebensmittelknappheit die Integration als eine kaum lösbare Aufgabe dar. Notdürftig wurden die ankommenden Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen vorwiegend auf dem Lande und in Kleinstädten untergebracht. Zunächst in Lagern, dann bei Einheimischen einquartiert, galt es, sie mit Lebensmitteln, Brennstoffen sowie einem Dach über dem Kopf auszustatten. EIne berufliche, soziale und kulturelle Integration war in diesem frühen Stadium noch nicht möglich. Vielfach galt es, zunächst die gröbste Not zu lindern, von der Einheimische und Flüchtlinge gleichermaßen betroffen waren.

 

In Hessens Großstädten wie Frankfurt am Main wurden im Vergleich zu manchen ländlichen Gebieten weniger Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen und einquartiert, da gerade hier nach Kriegsende die Versorgungslage und Wohnraumsituation besonders schwierig war. Bis Anfang 1950 sind rund 22.000 Flüchtlinge auch in Frankfurt am Main untergebracht worden. Diese Zahlen stiegen im Zuge des weiteren Zuzugs von 52.655 per 30. September 1950 bis auf 85.887 per 30. September 1953. Von den knapp 600.000 Einwohnern Frankfurts am Main in dieser Zeit waren 14,3 Prozent Heimatvertriebene und Flüchtlinge.

 

Nach den ersten provisorischen Maßnahmen war die Integration dieser Bevölkerungsgruppe eine politisch vordringliche Aufgabe: „Die Baracken und Erdbunker Frankfurts, in denen neben den Flüchtlingen auch noch viele Einheimische leben müssen, zeigten die noch immer ungelöste Aufgabe, die Menschen aus diesen Notunterkünften zu befreien.“ (Beauftragter der Hessischen Landesregierung 1949 nach einer Besichtigungsreise in Frankfurt, Balser, S. 50f.).

 

Um die Aufgabe der umfassenderen Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen leisten und koordinieren zu können, erfolgte in Hessen der Aufbau einer Flüchtlingsverwaltung. Das hessische Flüchtlingsgesetz von 1947 sollte ein „organisches Aufgehen in der Bevölkerung“ sicherstellen. (Messerschmidt, S. 12). Das wirksamste Instrument dieser Politik zu Beginn der 1950er Jahre war der Hessenplan. Er sollte ab 1951 bis in die sechziger Jahre hinein die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vorantreiben und in den ersten Jahren der Arbeitsplatz- und Wohnraumknappheit einen Ausgleich zwischen Einheimischen und Flüchtlingen herstellen. Ebenso war die Schaffung von wohnortnahen Arbeitsplätzen vor allem in den ländlichen Flüchtlingsgebieten im Norden Hessens ein weiteres wichtiges Anliegen. Aufstiegsmotivation und die gute Qualifikation der meisten Vertriebenen für Handwerk und Industriearbeit machten sie für die hessische Wirtschaft attraktiv. Die anfänglich hohe Arbeitslosigkeit konnte im Rahmen der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung zu Beginn der 1950er Jahre schrittweise abgebaut werden. Viele fanden entweder in berufsfremden Beschäftigungen ihr Auskommen oder konnten selbstständig tätig werden. Traditionelles Handwerk wie das des Glasmachers oder Glasbläsers, die Musikinstrumentenproduktion oder die Schnitz- und Holzkunst waren unter dieser Bevölkerungsgruppe weit verbreitet. Schwieriger hingegen gestaltete sich in Hessen die Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen in der Landwirtschaft, da es nur unzureichende Siedlungs- und Bauernstellen gab. Durch das im Hessenplan ebenfalls angelegte Siedlungs- und Bauernstellenprogramm konnte jedoch auch hier in vielen Fällen Abhilfe geschaffen werden.

 

Der bei Messerschmidt als Leitmotiv verwendete Satz „Wenn wir nur nicht lästig fallen...“ spielte in der bis Ende der 1950er Jahre in Hessen erfolgreich verlaufenden Integration immer weniger eine Rolle. Ergänzt und unterstützt wurden die Bemühungen des Landes Hessen durch die insgesamt positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung der gerade neu gegründeten Bundesrepublik ab 1948, die bis Mitte der 1960er Jahre anhielt. In dieser Situation war es möglich, die Flüchtlinge und Vertriebenen in die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates einzubeziehen. Dazu dienten folgende gesetzliche Regelungen:  Das Bundesvertriebenengesetz (BVG) regelte nachhaltig die Aufnahme und die Unterbringung der nach 1949 in die Bundesrepublik übersiedelnden Flüchtlinge und Vertriebenen sowie ihre rechtliche Stellung und die Ansprüche auf materielle und soziale Eingliederung. Das sicherlich wichtigste gesetzliche Instrument der Eingliederung und des Ausgleichs der wirtschaftlichen Lasten zwischen Einheimischen und Vertriebenen stellte der sogenannte Lastenausgleich dar. Der Kern des am 14. August 1952 verabschiedeten Gesetzes über den Lastenausgleichs (LAG) sah folgendes vor: „Die Besitzenden im Westen sollten also mit einer Vermögensabgabe den Opfern von Kriegssachschädigungen und Vertreibungsschäden helfen, um eine gleichmäßigere Verteilung der Kriegs- und Kriegsfolgekosten zu erreichen.“ (Görtemaker, S. 171). Spätestens 1955 waren in Hessen und in der Bundesrepublik die weitaus meisten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge gut integriert und in die Gesellschaft aufgenommen.

 

 

 

Literatur und Quellen::

Frolinde, Balser Aus Trümmern zu einem europäischen Zentrum. Geschichte der Stadt Frankfurt am Main 1945-1989, Sigmaringen 1989.

Wolf-Arno Kropat, Hessen in der Stunde Null 1945/1947, (Historische Kommission für Nassau, Bd. XXVI), Wiesbaden 1979.

Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen 1945-1950, (Historische Kommission für Nassau, Bd.4), Wiesbaden 1994.

Rolf Messerschmidt, „Wenn wir nur nicht lästig fallen...“. Aufnahme und Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen (1945-1955), Frankfurt am Main und Leipzig 1991.

Walter Mühlhausen, Hessen 1945-1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit, Frankfurt/Main 1985.

Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, Ausgleichsamt 146; Magistratsakten 3.132; Fürsorgeamt 656

Bis 1953 zogen mehr als 80.000 deutsche Heimatvertriebene und Flüchtlinge nach Frankfurt, wobei ihre Unterbringung und Versorgung zunächst das größte Problem für die Stadtverwaltung darstellte. Mit Beginn der 50er Jahre half bei der wirtschaftlichen Integration neben der konjunkturellen Erholung der Hessenplan und nicht zuletzt das Bundesvertriebenengesetz mit der Regelung des Lastenausgleichs.



Autor/in: Markus Wedel
erstellt am 01.01.2009
 

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Hessenplan


LAG


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