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„Altstadtgesundung“

Mit einem Programm zur Altstadtsanierung, „Altstadtgesundung“ genannt, versuchte das NS-Regime in Frankfurt nach Entkernungen und Renovierungen die Sozialstruktur des Frankfurter Zentrums im Sinne ihrer Ideologie zu verändern und damit zugleich etwas für ihren Ruf als „Stadt des deutschen Handwerks“ zu tun. Die Zerstörung historischer Bausubstanz nahm sie dabei bewusst in Kauf.

 

„Am Bild der Gemeinde ahnt und begreift das Volk erst den Staat.“
(Bruno Müller, Oktober 1936)

 

Zu den großangelegten lokalen NS-Prestigeprojekten zählte ab 1935 die „Altstadtgesundung“. Diese Maßnahme gegen Verslumungstendenzen in den Zentren wurde 1935 für Frankfurt und weltweit 36 weitere Städte auf dem Kongress des Internationalen Verbandes für Wohnungswesen in Prag vorgestellt. Verbandssitz war Frankfurt am Main und Oberbürgermeister Friedrich Krebs Mitglied im Ehrenausschuss. Wie so viele andere Initiativen war auch dieses Programm keine Erfindung der Nationalsozialisten. Das Frankfurter Bauamt hatte Theo Derlam, der sich in seinem Memoiren als der „letzte Altstadt-Baumeister“ bezeichnete, vielmehr bereits um 1930 mit Fragen der „Beseitigung verwahrloster Wohnviertel“ betraut. Neben der tatsächlich dringend gebotenen Sanierung der Häuser – viele besaßen weder fließend Wasser noch Toiletten, geschweige denn Bäder, waren baufällig, feucht und dunkel – gelang es der braunen Stadtregierung mit Hilfe dieser Maßnahme, nunmehr wie gewünscht ideologische und bevölkerungsdirigistische Ziele zu realisieren.

 

„Heimstätte des anständigen Bürgers“

 

Das in seiner biologistischen Terminologie – auch international – beworbene Sanierungsprogramm im Herzen Frankfurts hatte gleich mehrere Intentionen. Die politisch bedeutsamsten waren ab 1935 eine Veränderung der Sozialstruktur und die umfassende Registrierung der im Stadtkern ansässigen Einwohner – mehrheitlich Geringverdiener, Fürsorgeempfänger, politische Gegner oder Prostituierte. Um sich dieser von der NS-Stadtverwaltung pauschal als „asoziale Elemente“ diskriminierten Menschen wirksam und dauerhaft zu entledigen, wurden zahlreiche Liegenschaften zwangsweise enteignet. Im Nebeneffekt ließen sich mit der Sanierung und dem damit verbundenen Bau neuer Wohnungen im Altstadtbereich das zeitgleich erworbene Etikett „Stadt des deutschen Handwerks“ vermarkten und die Verringerung der Massenarbeitslosigkeit im NS-Staat ideologisch propagieren. Offiziell rechtfertigte die Stadtverwaltung das Projekt und die daran geknüpfte „Aussiedelung“ der Bevölkerung mit einem drohenden Luftkrieg.

 

Schon in einem Gutachten vom 31. Juli 1935 schrieb Stadtbaurat Reinhold Niemeyer an Oberbürgermeister Krebs: „Wir vertreten … die Meinung, daß die Bewohner der niederzulegenden Häuser in die neuen Wohnungen nicht einziehen können. Dies ist wirklich auch nicht gewollt; denn dann würde eine durchgreifende Gesundung der betreffenden Viertel nicht erreicht werden.“ Im Sinne Niemeyers standen dann nach Abschluss der Maßnahme ab etwa 1938 die renovierten und entkernten Gebäude mit Kleinwohnungen vorrangig Gewerbetreibenden, „ehrlichen“ Handwerkern und Parteifunktionären zur Verfügung; nicht zuletzt, um in dem zuvor „Slum-gefährdeten“ Viertel jetzt höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Noch im selben Jahr gab der Oberbürgermeister bekannt, dass dieser Bereich nunmehr wieder „Heimstätte des anständigen Bürgers“ sei, der „in der Altstadt ein gesichertes und menschenwürdiges Dasein“ führe. Die ehemaligen Bewohner waren zwischenzeitlich zumeist in Siedlungen am Stadtrand verdrängt worden.

 

Fünffingerplätzchen und andere …

 

Als ein Paradebeispiel der nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten umgesetzten „Altstadtgesundung“ galt ab 1937 das Fünffingerplätzchen – später zur Hälfte passend zur städtischen Selbststilisierung in Handwerkerplätzchen oder -höfchen umbenannt. Für dieses Areal mit Bender-, Schwertfeger-, Drachen-, Goldhutgasse und Altem Markt fertigten die Brüder Treuner eigens ein Detailmodell, das 1938 auch werbewirksam auf der Deutschen Bau- und Siedlungsausstellung präsentiert wurde. „Beide Teile jedoch Fünffinger- wie Handwerkerplätzchen, sind Zeugen einer handwerklichen Kultur, die sich nirgends besser beweisen könnte als in der Stadt des deutschen Handwerks; denn diese vermochte durch vollendete Handwerkskunst hier eine in der Erneuerung der Altstädte deutscher Gemeinwesen fast einzig dastehende Leistung mit ihrer Freilegungs- und Erhaltungsarbeit zu erzielen“, schwärmte Heinrich Theodor Wüst noch am 14. Dezember 1941 im "Frankfurter Volksblatt" ganz im Sinne der NS-Ideologie. Weitere umfassendere Baugebiete waren die „Auskernungen“ oder „Ausräumungen“ an der Kleinen Fischergasse, am Kirschgarten sowie die „Gesundungsabschnitte“ Hainerhof, Schüppen-, Wedels- und Löhergasse. Die Vermietung der entstandenen Neubauten oblag der von der Stadtverwaltung seit langem bevorzugten Aktiengesellschaft für kleine Wohnungen. Im Neubau des Hainerhofes zum Beispiel entstanden 34 neue Wohnungen.

Gegner der Sanierung wie der „Altstadtvater“ Fried Lübbecke oder der Dichter Alfons Paquet wiesen wiederholt auf die massive Zerstörung mittelalterlicher Bausubstanz hin. Ihre Eingaben fanden jedoch keine Resonanz bei der Stadtverwaltung und wurden als „Geschrei von Altstadtfanatikern, die nicht einmal aus bösem Willen, sondern aus einer begrenzten Schau heraus die Dinge des Gemeinschaftslebens beurteilen“, herabgewürdigt.

 

Literatur

 

Dieter Bartetzko, Zwischen Zucht und Extase, Berlin 1985, S. 196-212.

Theo Derlam, Die Frankfurter Altstadtgesundung (1939), in: Wolfgang Klötzer (Hg.), Die Frankfurter Altstadt. Eine Erinnerung, Frankfurt am Main 1983, S. 315-323.

Heike Drummer / Jutta Zwilling, Wir geben Ihnen Raum. 75 Jahre Nassauische Heimstäte, Frankfurt am Main 1997, S. 51-52.

Institut für Stadtgeschichte, MA Az 3360, Bd. 1; Theo Derlam, Aus dem Leben des letzten Frankfurter Altstadt-Baumeisters, Freiburg April 1957, Chroniken S 5/242.

Diverse Artikel in der Frankfurter Wochenschau ab 1935.

Mit einem Programm zur Altstadtsanierung, „Altstadtgesundung“ genannt, versuchte das NS-Regime in Frankfurt nach Entkernungen und Renovierungen die Sozialstruktur des Frankfurter Zentrums im Sinne ihrer Ideologie zu verändern und damit zugleich etwas für ihren Ruf als „Stadt des deutschen Handwerks“ zu tun. Die Zerstörung historischer Bausubstanz nahm sie dabei bewusst in Kauf.



Autor/in: Jutta Zwilling Heike Drummer
erstellt am 01.01.2011
 

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Krebs, Friedrich


Niemeyer, Reinhold


Paquet, Alfons

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