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Wilhelm Ettle: Restaurator, Kunsthändler, Nationalsozialist

Haus Lichtenstein am Römerberg, ca. 1940 Urheber: Rainer Emanuel

Wilhelm Ettle wurde am 24. Januar 1879 in Tettnang (Württemberg) geboren. Er studierte an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart Malerei und wollte Restaurator werden. 1907 erhielt er seinen ersten Auftrag: Er sollte die sogenannte „Stuppacher Madonna“ restaurieren, die sich in der Pfarrkirche Mariä Krönung in Stuppach befand. Zu dem Zeitpunkt war der Name des Malers noch unbekannt; erst während der Restaurierung wurde die Altartafel als ein Werk des Künstlers Matthias Grünewald erkannt. Von 1907-1920 war Ettle als Restaurator in insgesamt 40 Kirchen in Württemberg tätig.

 

1920 zog Wilhelm Ettle nach Frankfurt und wurde Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie: Er trat 1929 der SA und dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ in Frankfurt bei. 1930 wurde er wegen nationalsozialistischer Propaganda - dem Zeigen des Hitlergrußes - auf der Zeil verprügelt. Am 1. April 1932 wurde er Mitglied in der NSDAP.

 

1926 eröffnete er eine Kunsthandlung an der Katharinenpforte 6. Die Räumlichkeiten stellte ihm der Frankfurter Kunstsammler Johannes Noll (1863-1931) zur Verfügung. Die Kunsthandlung musste 1931 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wieder geschlossen werden. Im selben Jahr trennte er sich von seiner ersten Frau und zog in das Haus Lichtenstein am Römerberg 11 um. Dort lernte er seine zweite Ehefrau, Anni Lukaseder, kennen, die wie er überzeugte Nationalsozialistin war.

 

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, hisste er vor seinem Fenster die Hakenkreuzfahne. Von der Machtergreifung Hitlers erhoffte er sich zahlreiche Aufträge von der Stadt Frankfurt; tatsächlich erhielt er 1933 den Auftrag, die Wandgemälde von Jörg Ratgeb im Karmeliterkloster zu reinigen und zu konservieren www.stadtgeschichte-ffm.de/de/veranstaltungen/ausstellungen/1/joerg-ratgeb-um-1480-1526-die-wandbilder-im-karmeliterkloster; es folgte ein weiterer Auftrag für den Frankfurter Dom. 1937 arbeitete er sechs Senatorenbildnisse im Stadtgeschichtlichen Museum (heute: Historisches Museum Frankfurt) auf.

 

1938 erhielt Ettle eine Zulassung als Kunstversteigerer der Reichskammer der bildenden Künste und wurde damit beauftragt, jüdische Sammlungen zu taxieren. Im selben Jahr wurde er von verschiedenen weiteren Stellen als offizieller Sachverständiger ernannt, dazu gehörten die Industrie- und Handelskammer, die Devisenstelle S in Frankfurt, das Hauptzollamt und die Deutsche Rechtsfront. Sein Aufgabengebiet beschränkte sich dabei nicht auf Frankfurt, sondern auf das gesamte Rhein-Main-Gebiet und das Saarland. Damit saß er an verschiedenen Schaltstellen, die mit der Beschlagnahme und Verwertung jüdischer Kunstsammlungen befasst waren. Er nutzte diesen Wissensvorsprung häufig, um Druck auf die Sammler auszuüben und Profite zu machen.

 

Am 20. Mai 1939 eröffnete er das „Kunsthaus Wilhelm Ettle“ in der Eschenheimer Anlage 35. Von Mai 1939 bis Herbst 1941 prüfte er das Umzugsgut jüdischer Emigranten; diese Aufgabe war so zeitraubend, dass er nach eigener Aussage wegen Arbeitsüberlastung keine Auktionen durchführen konnte. Erst 1941 fand seine erste Auktion mit der Katalognummer 101 statt digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ettle1941_05_20. In dieser Auktion wurde im Auftrag des Generalstaatsanwaltes die Sammlung des polnischen Industriellen und Kunstsammlers Max Brings (1880-1950) versteigert. Das Haus des Ehepaares Brings in Wiesbaden war nach der Flucht der Eigentümer von der Gestapo beschlagnahmt worden; in Abwesenheit wurde ein Devisenstrafverfahren gegen sie geführt, das mit ihrer Verurteilung endete; ihr Besitz wurde daraufhin gepfändet. Der Generalstaatsanwalt übergab die wertvolle Inneneinrichtung Wilhelm Ettle, der sie am 20.05./21.05.1941 versteigerte. Von 1941-1944 fanden insgesamt vier Auktionen statt, in denen zahlreiche jüdische Kunstsammlungen angeboten wurden.

 

Das Geschäftsgebaren Ettles rief sogar bei Parteigenossen Misstrauen hervor. Der Gauleiter Jacob Sprenger www.frankfurt1933-1945.de/beitraege/stadtregierung/beitrag/der-gauleiter-jakob-sprenger leitete ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein. Die Gestapo ermittelte gegen ihn und verhaftete ihn am 1. Dezember 1941 wegen des Vorwurfs der sogenannten „Judenbegünstigung“ und der Vorteilsnahme. Er wurde beschuldigt, seine Stellung als Sachverständiger zur persönlichen Bereicherung missbraucht sowie eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben zu haben. Im Zuge des Verfahrens wurde Ettle am 9. Januar 1942 aus der NSDAP ausgeschlossen. Das Verfahren zog sich formal jedoch bis 1944 hin, sodass Ettle seine Geschäfte weiter betreiben konnte.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Ehepaar von Mitgliedern des amerikanischen Kunstschutzes verhaftet, ihre Geschäftsunterlagen und Tagebücher wurden beschlagnahmt und ausgewertet. Die Recherchen ergaben, dass Ettle mindestens 41 jüdische Kunstsammler bedrängt, genötigt und ausgeplündert hatte. Das amerikanische Militärgericht in Frankfurt verurteilte Wilhelm Ettle am 3. April 1946 wegen „Beiseiteschaffung von Vermögen und Kunstgegenständen“ in Höhe von 200.000 M. sowie Fälschung seines Fragebogens zu sieben Jahren Haft und dem Verlust von 70% seines Vermögens. Über den Prozess wurde in der Zeitschrift der amerikanischen Streitkräfte „The Stars and Stripes“ im August 1947 mehrfach berichtet, so dass dieser Fall auch international bekannt wurde. Am 15. Dezember 1947 wurde Ettle aus gesundheitlichen Gründen begnadigt. Seine Ehefrau Anni wurde ebenfalls vorzeitig entlassen. Nachdem einige Kunstwerke an ihre jüdischen Eigentümer restituiert worden waren, erhielt das Ehepaar 1952 die Geschäftsunterlagen und die restlichen Kunstwerke zurück. Danach waren sie erneut als Kunsthändler tätig. Wilhelm Ettle verstarb am 12.07.1958 in Mühlacker/Baden-Württemberg.

 

Literatur:

Anja Heuß, Vom Restaurator zum Kunsthändler: Wilhelm Ettle, aus: Evelyn Brockhoff/Franziska Kiermeier (Hg.), Gesammelt, gehandelt, geraubt. Kunst in Frankfurt und der Region zwischen 1933 und 1945, Frankfurt 2019, S. 74-89

Stefan Koldehoff, Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der Raubkunst, Frankfurt 2009, S. 126-136

 

Quellen:

ISG, Kulturamt 53/72, Nr. 915

ISG, Magistratsakten 47/69

ISG, Magistratsakten 7.862

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 520/11, Nr. 14257

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 519/1, 388

Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 251 Wehlheiden, Nr. 2476

Der Restaurator und Kunstmaler Wilhelm Ettle zog 1920 nach Frankfurt und wurde ein früher, überzeugter Anhänger der Nationalsozialisten. Seit 1926 war er als Kunsthändler in Frankfurt tätig. In der Zeit 1933-1945 bereicherte er sich an mindestens 41 Sammlungen jüdischer Verfolgter aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet.



Autor/in: Anja Heuß
erstellt am 23.04.2023
 

Verwandte Personen

Ettle, Wilhelm


Sprenger, Jakob

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Verwandte Begriffe

Kampfbund für deutsche Kultur



 
 
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