Seite ausdrucken  
 
 

 
 

Die Sammlung Julius Lehmann

Prof. Dr. jur. Julius Lehmann (1884-1951) wurde in Frankfurt geboren; er stammte aus einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie.1 Nach seiner Promotion 1906 in Leipzig arbeitete er zunächst als Jurist bei der Darmstädter und Nationalbank in Berlin. 1914 erhielt er seine Zulassung als Anwalt und habilitierte sich 1928 in Leipzig. 1916 heiratete er die gebürtige Frankfurterin Alma Rosa Sophie Schuster (1886-1973), die ebenfalls aus einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie stammte. Aus der Ehe gingen die Söhne Erich Leo Lehmann (1917-2009) und Richard Lehmann (1920-1933) hervor.

 

1919/1920 gründete Julius Lehmann in Frankfurt eine eigene Kanzlei in der Neuen Mainzer Straße 84, die sehr erfolgreich war. Er galt als Spezialist für internationales Handelsrecht, für das Reichsausgleichsgesetz, das Aktienrecht sowie ausländische Anleihen. Zugleich war er von 1928-1933 Honorarprofessor für Handelsrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Lehmann galt als der wohlhabendste Anwalt in Frankfurt. Die Familie lebte seit 1925 in einer Villa in der Zeppelinallee 47 im Frankfurter Diplomatenviertel; dort wurden 2021 Stolpersteine gesetzt.

 

Im Sommer 1933 wurde ihm wegen seiner jüdischen Herkunft die Lehrbefugnis an der Frankfurter Universität entzogen. Bereits am 1. April 1933 trat er aus seiner eigenen Sozietät aus und bereitete seine Emigration in die Schweiz vor. Am 29. Mai 1933 meldete er sich von seinem Wohnort in der Zeppelinallee 47 nach Stockholm ab, um seinen minderjährigen kranken Sohn Richard zu besuchen. Nach dessen Tod folgte er am 6. Oktober 1933 seiner Familie nach Zürich.

 

Aufgrund seiner Emigration erhoben die Finanzbehörden die diskriminierende Reichsfluchtsteuer, die 25% seines Gesamtvermögens betrug. Sein Bruder Dr. med. Walter M. Lehmann, der in seiner Abwesenheit diese Steuer für ihn beglich, berichtete später, dass es sich um eine der ersten Reichsfluchtsteuerbescheide in Frankfurt gehandelt habe und dass weder der Finanzbeamte noch er jemals zuvor einen Scheck in dieser Höhe gesehen hätten.2

 

Aufgrund des frühen Emigrationsdatums gelang es Julius Lehmann, seine Möbel und seine Kunstsammlung aus Frankfurt nach Zürich überführen zu lassen. Es handelte sich dabei um eine sehr umfangreiche Ladung mit 45 Möbelmetern (= 225 m3). Am 28. Juli 1939 zog die Familie Lehmann nach Genf um und versuchte von dort, in die USA auszuwandern. Da Lehmann kein Einwanderungsvisum erhielt, reiste er nach Cuba aus und gelangte von dort am 24. Februar 1941 in die USA, wo er 1946 eingebürgert wurde. Dort arbeitete er mit den Bankhäusern Arnhold und S. Bleichröder zusammen, deren Inhaber wegen ihrer jüdischen Herkunft ebenfalls verfolgt und in die USA emigriert waren. Er starb 1951 bei einem Besuch in Zürich. Sein Sohn Erich Lehmann wurde ein bedeutender Prof. für Mathematik und Statistik an der University of California, Berkeley.

 

Über Lehmanns Kunstsammlung, die er in die Emigration mitnehmen konnte bzw. deren Schicksal während der Emigration ist bisher wenig bekannt. Es konnten bisher nur 11 Objekte identifiziert werden. Sie stammten ursprünglich aus der Sammlung der Fürsten von Hohenzollern in Sigmaringen.

 

Diese Kunstsammlung stand 1927 aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Hauses Hohenzollern zum Verkauf und wurde 1928 im Städel ausgestellt. Georg Swarzenski, Generaldirektor der Frankfurter Museen, bemühte sich um den Ankauf der Sammlung und wollte ein Abwandern ins Ausland verhüten. In langwierigen Verhandlungen erhielt das Städel eine Option für den Ankauf der Sammlung Sigmaringen, die 6 Mio Mark kosten sollte. Die Stadt Frankfurt bewilligte 1,5 Mio Mark, die aus dem Ankaufsetat der Swarzenski unterstellten Museen für die nächsten zehn Jahre vorfinanziert werden sollte. Swarzenski bildete daraufhin ein Konsortium aus deutschen Museen, Kunsthändlern und Privatsammlern, um die benötigten restlichen 4,5 Mio Mark aufzutreiben. Im Gegenzug durften die Mitglieder dieses Konsortiums Objekte aus der Sammlung erwerben.

 

Im Juli 1928 wurde die Sammlung schließlich von diesem Konsortium erworben. Unter den privaten Geldgebern befanden sich zahlreiche jüdische Sammler aus Frankfurt wie z.B. Robert von Hirsch, Leo Gans, Richard Merton, Paul Hirsch und Martin Flersheim. Zu ihnen gehörte auch Julius Lehmann, der sich mit 100.000 M. am Konsortium beteiligte und 11 Werke aus der Sigmaringer Sammlung erwarb. Darunter befanden sich z.B. ein Ölgemälde von Jakob Seisenegger (1505-1567) „Bildnis Georg Thenn“ sowie kunstgewerbliche Objekte, darunter das „Ulmer Schwanenglas“. Julius Lehmann gab dieses Glas 1935 in eine Auktion bei Hugo Helbing in Frankfurt, wo es vom Württembergischen Landesmuseum erworben wurde.3

 

Anmerkungen

1 ISG, Standesamt I, Geburtsregister 1884, S. 137, Nr. 3737
2 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 518, Nr. 21792

3 www.landesmuseum-stuttgart.de/sammlung/provenienzforschung

 

Literatur

Barbara Dölemeyer/ Simone Ladwig-Winters, Kurzbiographien der Anwälte jüdischer Herkunft im Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt, in: 125 Jahre: Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main, Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Rechtspflege. Ausstellung: Anwalt ohne Recht. Frankfurt am Main 2004, S. 167

Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung. 2., völlig neu bearb. Auflage, München 1990

Anja Heuß, Die Auflösung der Fürstlichen Sammlung Hohenzollern-Sigmaringen, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg, München 2015, S. 59-66

 

Quellen

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Best. 518, Nr. 21792

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Magistratsakten, Nr. S-1533

Städel Archiv, Nr. 141, 741, 751

Der Frankfurter Jurist Julius Lehmann war ein Experte für internationales Handelsrecht und war seit 1928 als Honorarprofessor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität tätig. 1933 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. Im selben Jahr trat er aus seiner Kanzlei aus und emigrierte in die Schweiz. Es gelang ihm, seine wertvolle Kunstsammlung mit in die Emigration zu nehmen.



Autor/in: Anja Heuß
erstellt am 16.04.2023
 

Verwandte Personen

Lehmann, Julius


Swarzenski, Georg

Verwandte Beiträge

Das Kunstauktionshaus Heinrich Hahn


Die „Machtergreifung“ an der Universität


Die „Säuberung“ der Juristischen Fakultät der Universität

Verwandte Begriffe

Reichsfluchtsteuer

Verwandte Orte

Juristische Fakultät



 
 
  Betreiber
Stadt Frankfurt am Main Institut für Stadtgeschichte
Münzgasse 9
60311 Frankfurt am Main
im Auftrag des Dezernats für Kultur und Freizeit