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Dokument: Zeitungsartikel zum Auschwitz-Prozess vom 20. Februar 1964

Zusammenfassender Zeitungsbericht über die erste Phase des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses.

 

Die Angeklagten verschleiern die Wahrheit

Eine Zwischenbilanz nach der ersten Prozeßphase im Auschwitzverfahren

Es war am dreizehnten Verhandlungstag im Auschwitzprozeß, als auf der Zuhörertribüne plötzlich Unruhe entstand. Richter, Staatsanwälte, Journalisten und Polizeibeamte wandten die Köpfe zur Empore. Jemand rief nach einem Sanitäter. Was war geschehen? Während der angeklagte SS-Sanitäter Josef Klehr die grausigen Einzelheiten bei der Ermordung kranker Häftlinge durch Phenolinjektionen in den Herzmuskel schilderte, hatte ein Zuhörer das Bewußtsein verloren. Er war auf der Bank zusammengesunken und mußte in den Sanitätsraum gebracht werden.

 

Der Auschwitzprozeß stellt die Nerven jedes einzelnen auf eine harte Belastungsprobe. Wer nur wenige Meter von den Angeklagten entfernt von seinem Journalistenplatz die Verhandlung verfolgt, muß sich mit einem Panzer von Gelassenheit umgeben. Nur so ist es möglich, die Gedanken und Gefühle im Zaum zu halten.

 

Die erste Phase dieses größten Prozesses gegen NS-Verbrecher ist jetzt nach fünfzehn Verhandlungstagen zu Ende gegangen. Alle 22 Angeklagten wurden zur Sache vernommen. Nun folgen nach einer kurzen Unterbrechung die Zeugenaussagen.

 

Wie nicht anders zu erwarten, waren die Aussagen der Angeklagten nicht sehr ergiebig. Die ehemaligen SS-Angehörigen machten weidlich von der Bestimmung des deutschen Prozeßrechtes Gebrauch, derzufolge ein Angeklagter straflos bewußt die Unwahrheit sagen darf. Nur drei von ihnen bequemten sich zu Teilgeständnissen. Es handelt sich – wie bereits berichtet – um Hans Stark und Franz Hofmann. Neu hinzugekommen ist Josef Klehr. Man kann ihn nicht anders denn als Scheusal in Menschengestalt bezeichnen. Als ihm die Frage vorgelegt wurde, wieviel Menschen er wohl durch giftige Injektionen getötet haben mag, antwortet er beiläufig: „So 250 bis 300 werden es wohl gewesen sein.“

 

Klehr hat in Auschwitz eine von vielen Tötungsmöglichkeiten praktiziert. Als „SDG im HKB“ – der Angeklagte bedient sich noch immer der Sprache des Unmenschen, um zu erklären, daß er als Sanitätsdienstgrad im Häftlingskrankenbau tätig war – sortierte er Kranke zur Tötung aus. Anfänglich wurde das Phenol in die Venen gespritzt. „Aber die waren bei den Häftlingen schlecht zu treffen.“ Deshalb wählte man die schnellere Methode, den Stich ins Herz. Ob ihm denn niemals Bedenken gekommen seien? Seine Antwort: „Wir waren doch genau solche Nummern wie die Häftlinge.“ Ganz offensichtlich fehlt Klehr noch heute jede Einsicht. Wie sonst könnte er sich mit dem Satz herausreden: „Ich machte meinen Dienst, was mir befohlen wurde. Weiter habe ich nichts gemacht.“

 

Sie haben alle angeblich nicht mehr getan, als ihnen befohlen wurde, oft kaum das. Mehr als einmal beendete der Gerichtsvorsitzende langatmige Ausflüchte der Angeklagten mit der halb ironischen, halb resignierenden Bemerkung: „Ja, ja, ich kenne eigentlich niemand bis jetzt, der etwas getan hat in Auschwitz.“

 

Der ehemalige Adjutant des Lagerkommandanten Höß, Robert Mulka, hat in Auschwitz nichts gesehen, nichts gehört, nichts befohlen und niemals Klagen gehört. Für ihn war Auschwitz ein Schutzhaftlager, in das nur „Staatsfeinde“ gesperrt wurden. Fragen des Nebenklägers Rechtsanwalt Ormond, der die Interessen vieler Auschwitzopfer vertritt, beantwortete Mulka auf Anraten des „Starverteidigers“ Laternser nicht. Die meisten anderen Angeklagten übrigens auch nicht. Ormond unterzog das Verhalten Laternsers einer scharfen Kritik. „Es ist offensichtlich“, stellte er fest, „daß er versucht, durch seine Taktik die Aufklärung der Wahrheit zu verhindern.“ Dies sei eine „bewußte und gewollte Mißachtung und Kränkung der Opfer“. In solchem Verhalten werde die „Fortsetzung jener Gesinnung demonstriert, die die Angeklagten in Auschwitz schuldig werden ließ“. […]

 

Eine der übelsten Figuren in diesem Prozeß, der frühere Rapportführer Oswald Kaduk, nahm sich den schwer belasteten Wilhelm Boger zum Vorbild. Als er aufgerufen wurde, ging er mit langen, wiegenden Schritten nach vorn, schlug kurz die Hacken aneinander, verneigte sich leicht und schnarrte in den Saal: „Ich verweigere hier die Aussage zur Sache.“ Dann ging er zurück und setzte sich wieder auf seinen Platz.

 

Kaduk ist einer von denen, die in Auschwitz alles gemacht haben. Seine Spezialität waren jedoch Morde an einzelnen Häftlingen. Er schlug sie zusammen, erdrosselte sie oder streckte sie eigenhändig mit einer Kugel nieder. Von Reue ist bei ihm keine Spur. Er mußte schon öfters verwarnt werden, weil er während der Verhandlung Zeitung las oder vergnügt vor sich hinlachte. […]

 

Anders der Apotheker Dr. Victor Capesius, in Auschwitz Leiter der Hauptapotheke und Verwalter des Zyklon B. Er ist stark belastet, soll Kinder selektiert und tödlich verlaufene Experimente mit Evipan und Morphium gemacht haben. Frech leugnete er jedoch in der Verhandlung jede Schuld und bezichtigte alle Zeugen der Lüge: „Die Zeugen müssen ja was Belastendes sagen, sonst wären sie ja nicht nach Frankfurt bestellt worden.“ Man wundert sich, daß das Gericht solche Unverschämtheiten ungerügt ließ. […]

 

So war das also: Der eine hat Kinderspielplätze gebaut und Zusatzverpflegung bei der SS-Verwaltung für die Häftlinge besorgt, der andere schaffte Hühner zum Braten für die Gefangenen in die Todesfabrik und der dritte sorgte für Radieschen und Heizgeräte – als ob es sich nicht um die schaurigste Vernichtungsstätte, sondern um ein Sanatorium gehandelt hätte … […]

 

 

aus: Die Gemeinde vom 20. Februar 1964, zitiert nach: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963–1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S. 23f.

 

Zusammenfassender Zeitungsbericht über die erste Phase des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses.


erstellt am 01.01.2006
 

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