Die Universität der zwanziger Jahre entwickelt sich als eine der Praxis und den Problemen der modernen Gesellschaft verpflichtete Einrichtung.
Anliegen der Universitätsstifter war die Betonung der praktischen Bedeutung von Wissenschaft. Im Stiftungsvertrag von 1912 wird die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in verständlicher Form für eine interessierte Öffentlichkeit als Aufgabe der Universität festgeschrieben. Die Einrichtung der ersten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an einer deutschen Universität folgte dem Interesse an Praxis ebenso wie die erste eigenständige Naturwissenschaftliche Fakultät. Auch interdisziplinäre Forschungsansätze und Seminarangebote oder Vertretung von Psychologie und Philosophie in mehreren Fakultäten brachten das Anliegen zum Ausdruck.
Die in die Medizinische Fakultät eingebrachten Städtischen Krankenhäuser sind modern eingerichtet. In Frankfurt mitbegründet und mitentwickelt werden Kinderheilkunde und Gerichtsmedizin. Psychiatrie und Neurologie waren hier schon früher als anderswo vertreten. In der Entwicklung der Röntgendiagnostik ist die Medizinische Fakultät führend. Am Neurologischen Institut entwickelt Kurt Goldstein das Konzept der Neuropsychologie. Am Institut für Theoretische Physik gelingt im März 1922 Otto Stern und Walter von Gerlach der erst experimentelle Beweis für die Quantentheorie. Der später so bezeichnete Stern-Gerlach-Versuch bestätigt die aus der der Theorie resultierende Hypothese, dass ein Atomstrahl sich in einem Magnetfeld aufspaltet. Bezeichnend für den neuen Geist der Universität ist die Tatsache, dass Assistenten das Experiment eigenverantwortlich durchführen und publizieren können. Friedrich Dessauer gründet 1921 das Institut für die physikalischen Grundlagen der Medizin und erhält 1922 den ersten Lehrstuhl des Faches an einer deutschen Universität.
In der Juristischen Fakultät stehen die Probleme der modernen Gesellschaft im Vordergrund: Völkerrecht, Rechtssoziologie, Arbeitsrecht, Jugendrecht, Fürsorge- und Familienrecht sowie Steuerrecht. Hier, wie auch in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, ist die große Zahl an Lehraufträgen auffällig, die an mitten im Berufsleben stehende Experten vergeben werden: Rechtsanwälte, Richter, Bankiers, Kommunalpolitiker oder Verwaltungsexperten. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät bietet Veranstaltungen zu Finanzwissenschaft, Geld- und Kreditwesen, Statistik, Sozialpolitik, Haushaltspolitik, Politische Ökonomie oder Betriebswirtschaft. 1919 stiftet Karl Kotzenberg den ersten Lehrstuhl für Soziologie an einer deutschen Universität. 1932 hat sich die Soziologie als Fach etabliert und zum Querschnittsfach entwickelt. Fragen der Gesellschaft und Gesellschaftsentwicklung beginnen die Geisteswissenschaften zu interessieren. Die 1921 eröffnete und einmalig bleibende Akademie der Arbeit wird durch Universität und Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund mit dem Ziel gegründet, Arbeiter, Angestellte und Beamte für die Wahrnehmung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Selbstverwaltung aus- und fortzubilden. Hintergrund ist das 1919 verabschiedete Betriebsrätegesetz mit der Einführung betrieblicher Mitbestimmung. Dozenten der Universität lehren an der Akademie, die angestellten Dozenten der Akademie erhalten in aller Regel eine Honorarprofessur an der Universität.
Das 1924 eingeweihte, der Universität angeschlossene Institut für Sozialforschung entsteht als Stiftung des Millionärs und sozialistischen Intellektuellen Felix Weil. Nur in Frankfurt findet er die Aufgeschlossenheit für die erste Forschungseinrichtung Westeuropas, die sich wissenschaftlich mit dem Marxismus auseinandersetzt. Die Leitung des Instituts wird 1930 mit dem neu geschaffenen Lehrstuhl für Sozialphilosophie verknüpft, auf den Max Horkheimer berufen wird. Er entwirft das Programm einer philosophisch ausgerichteten, einzelwissenschaftlich abgesicherten und profunden kritischen Gesellschaftstheorie. Das Institut für Sozialforschung unterstützte das 1929 eröffnete Frankfurter Psychoanalytische Institut, nach Wien, Berlin und London die viertälteste Gründung der Welt. 1924 übersiedelt das Institut für Kulturmorphologie von München nach Frankfurt. Sein Gründer, Leo Frobenius, vertrat einen von ihm selbst in jahrzehntelangen Expeditionen und Forschungen erarbeiteten kulturmorphologischen Ansatz. Danach bilden materielle, geistige und soziale Formen einer Kultur einen inneren, organischen Zusammenhang. Obwohl Frobenius keinen akademischen Abschluss hatte, erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität.
Die Universität der zwanziger Jahre entwickelt sich als eine der Praxis und den Problemen der modernen Gesellschaft verpflichtete Einrichtung.