Schon wenige Tage nach Kriegsende beantragten junge Jazzer bei der Militärregierung eine Lizenz zur Gründung einer Combo und zeigten damit, dass in Frankfurt der Jazz das „Dritte Reich“ trotz aller Verbote und Repressalien überdauert hat.
Bereits Ende 1939 hatte sich in Frankfurt ein Kreis jugendlicher Musiker zusammengefunden, der sich mit großer Leidenschaft dem Jazz widmete und damit einer Musik, die den nationalsozialistischen Machthabern als Inbegriff des „Entarteten“ galt. Der synkopierte Rhythmus des Jazz taugte nicht zum Marschieren im Gleichschritt, das Prinzip der Improvisation widersprach den braunen Vorstellungen von Disziplin und Gehorsam und die Urheber der Musik – Afroamerikaner und viele Amerikaner jüdischen Glaubens – waren vom Ideal der arischen Rasse denkbar weit entfernt. Jazz verkörperte den Gegenentwurf zur deutschen Lebenswirklichkeit des Dritten Reichs. Aber die Begeisterung für diese Musik resultierte nicht in politischem Widerstand, sondern eher in jugendlichem Aufbegehren gegen die Fremdbestimmung ihrer Freizeit durch die Staatsorgane. Dafür ging man allerdings existentielle Risiken ein. Der Schlagzeuger Horst Lippmann und der Klarinettist Emil Mangelsdorff wurden zum Beispiel verhaftet und mehrere Wochen im Gefängnis festgehalten.
In den Wirren der letzten Kriegsmonate kamen die Jazzaktivitäten vorübergehend zum Erliegen, aber nur neun Tage nach Kriegsende, am 17. Mai 1945 beantragte Carlo Bohländer bei der Stadtkommandantur des amerikanisch besetzten Frankfurt eine Lizenz, die seiner Jazzcombo erlaubte, vor deutschem Publikum aufzutreten.
Von Anfang an näherten sich die Frankfurter dem Phänomen Jazz nicht nur im praktischen Musizieren, sondern auch mit großem theoretischem Eifer. Man traf sich privat, um gemeinsam Platten zu hören und über das Gehörte zu diskutieren. Nach dem Krieg, wurden die „analytischen Plattenabende“, die der nun als „Hot Club Frankfurt“ firmierende Freundeskreis im Keller eines Trümmerhauses in der Bockenheimer Landstraße veranstaltete, zu einer festen Institution. Fragen nach den stilistischen Besonderheiten einzelner Musiker, nach der Definition des Swing und nach der Zulässigkeit bestimmter Modernismen wurden mit größtem Ernst und außerordentlich kontrovers diskutiert. Damals war Jazz ein rätselhaftes, exotisches Terrain, wie ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte, dem man sich mit fieberhaftem Entdeckergeist näherte. Nach dem Krieg fanden deshalb Exkursionen in die terra incognita des Jazz ein Publikum, das plötzlich Interesse an den kulturellen Errungenschaften der amerikanischen Besatzungsmacht zeigte. Olaf Hudtwalcker, Präsident des Hot Club Frankfurt und bald auch Moderator von Jazzsendungen im Hörfunk, hielt Vorträge in der Zimmergalerie Frank und im Frankfurter Kunstkabinett.
Organisiert war der Hot Club Frankfurt nach dem Vorbild des Pariser Hot Club de France. Wie dieser hatte man auch eine clubeigene Band, die „Two Beat Stompers“, die bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre als Deutschlands profilierteste Formation im traditionellen Jazz galt. Das erste Vereinslokal erhielt den Namen „Domicile du Jazz“. Carlo Bohländer hatte den Keller in der Kleinen Bockenheimer Straße 18a gefunden und angemietet. Im August 1952 wurde das Lokal eröffnet, das als ältester Jazzclub Deutschlands noch heute existiert. Der „Jazzkeller“, wie das Lokal bald hieß, wurde schnell zum Wohnzimmer der Szene, diente tagsüber zum ungestörten Üben und nachts als Treffpunkt, nachdem die bezahlten Auftritte in den Service Clubs der US Army beendet waren. Vor zahlendem Publikum wurde dann gejammt bis in die frühen Morgenstunden. Die Gebrüder Emil und Albert Mangelsdorff, der Saxophonist Joki Freund, der ungarische Gitarrist Attila Zoller und der mitsamt seinem Quartett aus Wien übergesiedelte Hans Koller bildeten den Kern einer Szene, die sich ganz dem modernen Jazz verschrieben hatte. Frankfurt zog Musiker an wie ein riesiger Magnet.
In der Stadt mit dem Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte gab es viel Arbeit für Musiker, und der Flughafen brachte immer wieder amerikanische Jazzstars auf ihren Europatourneen an den Main. Nach ihren Konzertauftritten vor großem Publikum kamen legendäre Figuren wie Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Zoot Sims, Sonny Rollins oder das komplette Modern Jazz Quartet in den Keller, um mit ihren Frankfurter Kollegen zu jammen, zu reden und zu trinken. Die organisierten bald selbst Tourneen, mit denen sie den Jazz über die Grenzen der Region hinaus bekannt machen wollten, auf zunächst rein idealistischer Basis. Aus solchen Anfängen entstand später mit Lippmann+Rau eine der größten Konzertagenturen des Landes. Horst Lippmann war es auch, der ein unweit des Jazzkellers gelegenes Fachwerkhaus kaufte und sanierte. 1958 wurde das „Jazzhaus“ eingeweiht, mit einem Lokal in den beiden unteren Geschossen, darüber Olaf Hudtwalckers Gemäldegalerie und das Sekretariat der Deutschen Jazzföderation.
Im selben Jahr, 1958, wurde außerdem das Jazzensemble des Hessischen Rundfunks gegründet, ebenfalls auf Betreiben von Lippmann. Er war es auch, der 1953 das Deutsche Jazzfestival aus der Taufe gehoben hatte. Dessen nationaler Anspruch mag heute vermessen klingen, aber die Frankfurter waren tatsächlich die ersten, die auf die Idee kamen, die deutsche Jazzszene auf einem Festival zu präsentieren. Auch international nahmen sie damit eine Vorreiterrolle ein, und heute gilt das Deutsche Jazzfestival Frankfurt als ältestes noch bestehendes Jazzfestival der Welt.
Der Aufstieg Frankfurts zur „Jazzhauptstadt Deutschlands“ ist zu einem nicht geringen Teil dem Organisationseifer von Männern wie Horst Lippmann oder Carlo Bohländer zu danken. Wortgewaltige Fürsprecher wie Olaf Hudtwalcker taten ein Übriges, die Frankfurter Szene zum Nabel des deutschen Jazz zu erklären. Und dann gab es da noch die eher im verborgenen agierenden Aktivisten wie etwa Werner Wunderlich, geschäftsführender Sekretär der Deutschen Jazzföderation, der seit 1959 die Reihe „Jazz im Palmengarten“ organisierte. Sie ist die älteste kontinuierlich geführte Open-Air-Jazzreihe der Welt. Ein weiterer Frankfurter Superlativ, dessen Grundstein in den 50er Jahren gelegt wurde. Es war diese spezielle Frankfurter Infrastruktur, die den vielen herausragenden Musikern der Stadt, allen voran Albert Mangelsdorff, den verdienten Ruhm für ihre musikalischen Großtaten sichern half.
Literatur:
Jürgen Schwab: Der Frankfurt Sound – eine Stadt und ihre Jazzgeschichte(n), Frankfurt 2004
Schon wenige Tage nach Kriegsende beantragten junge Jazzer bei der Militärregierung eine Lizenz zur Gründung einer Combo und zeigten damit, dass in Frankfurt der Jazz das „Dritte Reich“ trotz aller Verbote und Repressalien überdauert hat.